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dieses Hutzelgerippe, dieser Sonnentropfen,
dieser Crevettentrödler an Vinckebooms,
Stuerbout, Metsu, Eyck oder Isaac van
Nickele nicht erinnere:
ANATHEMA
sit! So geht es in allen Singarten. Das
nennt man seit Goethe: nach den »Quellen
der Cultur« stöbern. Man kann es in
Seminarien lernen und gegen ein Opfer
an Seele und Sitzfleisch gedankenlos er-
kaufen. Der Künstlermensch aber wird es
jenen Rüsselthieren lassen, die selbst im
duftigsten Waldboden mit muffigem Be-
hagen wühlen, um runzelige Trüffeln und
Engerlinge hervorzuscharren. Darf man
sich etwa nicht mehr am Fertigen freuen?
Soll man denn immer nach den Dessous
folgern und Aufhebens damit machen,
obzwar dies unsittlich ist und wider die
Natur geht? Takt und Achtung vor dem
Talente verbieten es sicherlich. Nur die
Deutschen können davon nicht lassen. Von
jeher haben sie sich für die Entstehungs-
windeln mehr denn für die holden Wunder
der reifen Hülle »interessiert«. Interesse
brachten sie, wo Liebe und stille Heiter-
keit der Sinne nöthig war. Und ehe sie
sich’s versahen, war ihnen die Fähigkeit
abhanden gekommen, wunschlos, wortlos
des Schönen sich zu erlaben.
Bei einem so unbewusst eklek-
tischen Künstler, wie es Schwaiger ist,
muss jegliches Forschen nach den Ur-
quellen seiner Art verfehlt und von Übel
sein. Es lässt sich nicht leugnen, dass die
Honigbiene in Vielem der Ochsenbremse
gleicht. Und ein Chamäleon ist Frosch
zugleich und Eidechs. Bedenklich wird
der Casus erst, wenn solch ein Eidechs
in allen Farben zu spielen beginnt und
wenn die Ochsenbremse ihre Faeces ge-
flissentlich auf den Goldton des Honigs
stimmt.
Solches geschieht bei Schwaiger nicht.
Er prüft die anderen nicht, um das Beste
zu behalten, wie die Caracci es gethan,
und weit entfernt scheint er mir von der
Kunstpolitik des Mengs, der sich bei
Rafael, Correggio, Tizian daraus gewählt,
was ihm verwendbar schien. Mit dem
gewaltsamen: »je prends mon bien où je
le trouve«, das aus den Bildern der Prä-
rafaeliten und mehr noch aus den Problem-
studien der Wiener Secession spricht, hat
Schwaiger nichts gemein. Es ist ein un-
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bewusster Eklekticismus, dem er dient,
und also mag es von Interesse sein, ihm
tastend — nicht anklagend — nachzu-
gehen.
»Der rechte Schild gegen Neid, Tod
und Zeit«, coloristisch eines der feinsten
Bilder, das Schwaigers Lieblingsnuance:
das lichte Grün halbreifer Oliven
mit grosser Anmuth verarbeitet, weist in
der Anlage der Motive merklich auf Dürer
und Holbein den Jüngeren. Nicht nur
die Knochenmänner, Landsknechte und
Rüstungsritter deuten (auch anderwärts)
auf diese Meister. Aber der furchtbare
Hohn des Augsburgers, der über Päpste,
Bettler, Könige und alle Ängstlichen
triumphierte, fehlt dem mährischen Wald-
bruder. Dennoch lädt er mit vielem Glück
zu Todtentänzen ein, nimmt auch — ein
wenig früher als Josef Sattler, doch nicht
so apokalyptisch wie dieser — das alte
Wiedertäufermotiv auf und spinnt es auf
einer seiner grössten Tafeln zu einem
Wunder an Kühnheit, Fleiss und Kunst-
beherrschung aus! In seinem Flügelaltär-
chen der Sippe Wiesner, in seinen Lucas-,
Christus-, und Madonnenbildern, die sich
mit Absicht stark archaistisch geberden,
klingt das Krippenbildliche in Form und
Haltung, die kühle Kraft der Färbung,
das Miniaturähnliche in der Durchführung
an Rogier von Brügge an, lockt manch-
mal die bittere Melancholie Hans Memlincs
in den Sinn und scheucht auch den
grösseren Schüler Van der Weydens, den
Schongauer, auf, der mit der verseeltesten
Innigkeit bisweilen auch energische Phan-
tastik verbunden. Die kindliche Heiterkeit,
Lebendigkeit und Derbheit des Lucas
Cranach, der seinerseits an Hans Sachs
gemahnt, drängt manchmal sich hervor:
neben dem Zartesten, Naivsten patscht
das Geschmacklose, ja Kindische auf
Augenblicke in die Hände. Kabliauartige
Teufelsköpfe, wie mit Galläpfelsäure hin-
gestrichen, und allerlei grünspanige Flatter-
krabben gelingen Schwaigern aufs köst-
lichste; und so muss man sich eben wun-
dern, dass ihm Hauff und Chaucer, der
den Prärafaeliten viel besser anstand, den
Pinsel führen, wo er doch aus Callot-
Hoffmann, Fischart oder Poë viel saftigere
Schwaigeriana herausgeholt hätte. Dabei
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