Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 10, S. 239

Die Tragödie des d’Annunzio (Cippico, Anton)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 10, S. 239

Text

CIPPICO: DIE TRAGÖDIE DES D’ANNUNZIO.

der Rivalin begehrt, eine ihrer Haarlocken,
einen Zipfel ihres Kleides, damit die Ver-
hexung sich vollziehen könne — — — Ein
Wonnerausch steigt vom Garten herauf
und hüllt sie in den Duft der welken
Blüten, der überreifen Früchte.

»Leben, noch einmal Leben«, ruft
sie aus, »um ihn, wie mit einem Feuer,
mit meinem Leben zu umhüllen, das
gequält ist, um seinen Tagen und seinen
Nächten neue, ungekannte Leidenschaften,
unerhörte Empfindungen der Wollust und
Angst zu schenken — — —«

Pentella kündigt auch noch zwölf
Schiffe an, »die, mit karminrothem Damast
bedeckt, mit silbernen Sirenen am Vor-
dertheil, von Fisaore den Fluss herab-
fahren. Sie kommen in zwei Reihen, mit
Blumenkränzen aneinandergefügt. Der
ganze Fluss bedeckt sich mit Kränzen,
die auf dem Wasser schweben. Die
Schiffe sind mit ihnen beladen und werfen
immer neue aus. Die Kränze sind grün.
Der Fluss wird grün, und er war ganz
rosig wie die Wolken — — —«

Schliesslich kommen drei der weib-
lichen Spione, und Orseola erzählt, dass
sie ihn auf dem »Bucentoro« Panteas
gesehen hat, während diese auf dem
Tische zwischen Gläsern und vollen Bechern
tanzte; sie hatte nackte Füsse mit zwei
an den Knöcheln angebrachten Flügelchen,
die mit Perlen geschmückt waren. Und er
wurde immer bleicher, während Pantea
ihm entfliehen wollte und, ihm den Wein
zugiessend, entgegenrief: »Trinke, trinke,
bis Dir die Kehle brennt.« Indes um-
ringten die Kähne der Edelleute, die stets
dem »Bucentoro« der Hetäre nachziehen,
das schöne Schiff; und die Gesichter aller
erbleichten beim Anblick jener wunder-
baren Schönheit, die sich von dem gol-
denen Schiffskiel aus, blossen Leibes, mit
dem einzigen Schmuck der mit Edel-
steinen besetzten Flügelchen, den Blicken
der begeisterten Menge bot. Und alle
riefen: Pantea! Pantea! als ob sie gött-
lich wäre. Aber er, der vom Schwindel
wie von einem Wirbelwind erfasst war,
»schüttelte sich, belauerte das am Kiele
aufrechtstehende Weib, schnellte auf wie
ein Pfeil und trat an sie heran; und es
schien, als ob die ganze Kraft jener
lüsternen Männer auf seine Arme über-

gegangen wäre, denn er riss sie vom
goldenen Schiffskiel, wie man eine Fahne
wegreisst — — —«.

Ich glaube, dase nie die Phantasie
eines Dichters eine leuchtendere, furcht-
barere Schönheitsvision auszudenken wagte,
ausgenommen vielleicht Homer, der den
greisen Agoreten, die an der Spitze des
Thurmes sassen, beim Anblick der auf
die skäischen Thore zuschreitenden Helena
die geflügelten Worte in den Mund legte:
»Und es ist gewiss recht, dass die Tro-
janer und Achäer seit so langer Zeit so
viel Böses eines solchen Weibes wegen
erdulden; denn sie gleicht in ihrer Schön-
heit den unsterblichen Göttinnen.«

Es kommen dann noch die anderen
weiblichen Spione hinzu, und Jacobella
schafft eine goldene Haarlocke Panteas
herbei, die sie zitternd und verstohlen ab-
geschnitten hat. Die Zauberin formt indes
das Abbild der Hetäre und schmückt es
mit den goldigen Haaren; die fluchende
Gradeniga durchbohrt das Wachs mit
langen Haarnadeln, während die Misse-
that sich vollzieht und die Zaubersclavin
im Buche des Königs von Majorca
liest.

In der Ferne erhebt sich ein dumpfer
Lärm und ein starkes Licht verbreitet sich
und kommt näher; Ordella und Barbara
verkünden: »Pantea im Feuer! Der »Bucen-
toro« steht in Flammen! Alle Schwerter
sind gezogen! Eine Schlacht — — —
Alle wüthen — — — Es fliesst Blut.
Es ist ein Gemetzel — — —« Priamo
Gutti und andere junge Edelleute waren
mit ihrem bewaffneten Gefolge über den
Canal von Mirano gekommen, um Herren
des Festes und Sieges Panteas zu sein. Der
Ansturm war fürchterlich; alle schrien:
Pantea! Pantea! Aber die Leute aus
Mirano warfen mit Feuerwerken und der
»Bucentoro« wurde plötzlich wie ein
Rebenbündel von den Flammen verzehrt.
Und Pentella kündet von der hohen Loggia
aus: »Feuer! Feuer! Der »Bucentoro«, der
»Bucentoro‹ der Hetäre steht in Flammen,
mit glühenden Leichen bedeckt — — —
Eine Schlacht — — — Es blitzen die
Schwerter, tausend Schwerter — — —
Feuer und Blut!«

Jenseits des Gartens erblickt man die
rothen Gluten der unendlichen Feuers-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 10, S. 239, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-10_n0239.html)