Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 252

Wagnertage Die Witwe von Windsor (Chamberlain, Houston StewartKipling, Rudyard)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 252

Text

KIPLING: DIE WITWE VON WINDSOR.

ist in Wien der Darsteller des Helden,
doch beweisen gerade die erstaunlichen
Fortschritte, die er von der ersten bis zur
dritten Aufführung gemacht hat, dass er
zwar das Ideal erreichen kann, es aber noch
nicht erreicht hat. Fräulein Michalek da-
gegen gibt immer gleich ihr Bestes; wir
wollen nur hoffen, dass sie nicht einen
Fortschritt im umgekehrten Sinne des von
Herrn Schmedes erreichten macht. Die
Münchener Darstellerin dieser Rolle, als
Künstlerin nicht würdig, Fräulein Michalek
das Wasser zu reichen, besitzt von Hause
aus die reine Schlichtheit der Erscheinung
und Unschuld der Geberde, welche ihre
Wiener Collegin durch raffinierte Kunst
imitieren muss; sollte sie jemals darin er-
müden, so wäre die Rolle verloren. Der
Teufel ist nach meiner Empfindung voll-
ständig verzeichnet; Sieglitz in München
hat meine Erwartungen schon enttäuscht,
Hesch aber noch viel mehr; wahre Perlen
der Erfindung gehen hierdurch verloren.
Unser lieber Grengg gehört zu den sym-
pathischen Menschen, die man immer
von Herzen gern begrüsst; doch gehört
Peter Schliesser zu den schwierigsten
Rollen dieses aus lauter schwierigen Rollen

bestehenden Bühnenwerkes. Ganz vortreff-
lich ist der Bürgermeister des Herrn v.
Reichenberg, der einzige Darsteller ausser-
dem, der verständlich spricht; Gott soll
es ihm im Himmel lohnen! Und dann die
Chöre und das Orchester! Kein Theater
der Welt macht das Wien nach. Frei-
lich haben in München gewisse elegische
Stellen, bei denen es weniger auf Technik
und Glanz, als auf tiefe, echt deutsche
Empfindung ankommt, eine grössere
Wirkung ausgeübt; doch im grossen und
ganzen steht die Wiener Orchesterleistung
unerreicht da. Eine besondere Erwähnung
verdient in dieser Beziehung der Einzug
der Muffel’schen Compagnien; er wirkt
hinreissend. In diesem friedfertigen jungen
Tondichter, dem manche vermeintliche
Psychologen fast herablassend das Prädicat
»mädchenhaft« zusprechen, steckt eben
ein durchaus männlicher und kriegerischer
Kern, ein kühnes, nach Schlachtengetümmel
sich sehnendes Herz, wie das von jeher
germanische Eigenart war. Das deutet auf
künftige Thaten, und für nichts wollen
wir der Wiener Aufführung des »Bären-
häuter« dankbarer sein, als dass sie diese
Ahnung in uns weckte.


DIE WITWE VON WINDSOR.
Aus den »Barrack-Room Ballads«.
Von RUDYARD KIPLING (New-York).
Deutsch von ARTHUR BRANDEIS.*

Ihr kennt doch die Witwe von Windsor
Mit dem zierlichen Krönchen von Gold?
Sie hat Schiffe da drauss’ und Millionen zu Haus,
Sie zahlt uns armen Teufeln den Sold.
(Arme Teufel in Sold.)
Ihr Merk ist auf unseren Pferden,
Ihr Zeichen auf Tiegel und Glas —
Und ihr Truppschiff könnt Ihr seh’n, wenn die guten Winde weh’n,
Wenn wir kämpfen für dies und für das.
(Wir bluten für dies und für das.)
Sie lebe, die Witwe von Windsor,
Ihr Gezeug und Geschütz — hurrah!
Und Mann und Pferd, was zur Truppe gehört
Der Missis Victoria.
(Deine Söhne, Victoria.)

* Vgl. den Aufsatz »Das englische Heer und sein Dichter« von Arthur Brandeis in der
Festschrift zum achten allg. deutschen Neuphilologentage.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 252, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-11_n0252.html)