Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 253

Die Witwe von Windsor Der Papst (Kipling, RudyardPanizza, Oscar)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 253

Text

PANIZZA: DER PAPST.

Wandert weit von der Witwe zu Windsor;
Denn die halbe Welt ist ihr Gut:
Wir haben’s ihr beschert, mit der Flamm* und dem Schwert,
Und wir pökeln’s mit Bein und mit Blut.
(’s ist unser Gebein, unser Blut.)
Zurück von den Söhnen der Witwe,
Ihrem Laden, der sicher verschallt;
Denn die Könige knien und die Kaiser verzieh’n,
Wenn die Witwe von Windsor ruft: Halt!
(Uns schickt man’s zu rufen das Halt.)
Drum hoch dem Palaste der Witwe
Vom Pole zur tropischen Zon’ —
Den wir mit Leibern gedeckt, mit Bajonnetten umsteckt,
Den wir öffnen mit Gruss der Kanon.
(Arme Teufel! Uns kracht die Kanon!)

Wir kennen die Witwe von Windsor,
Es heisst, sie versteh’ keinen Scherz:
Ihrer Posten Heer steht über Land und Meer,
Wo nur tönt das schmetternde Erz.
(Wir bekommen’s zu spüren das Erz!)
Und nähm’t Ihr die Flügel des Morgens,
Würdet rund um die Erde gehetzt,
Ihr entrönn’t ihr doch nie, der verdammten Melodie,
Und dem Lappen da, der so zerfetzt.
(Auch wir sind von Kugeln zerfetzt.)
Drum trinkt auf die Söhne der Witwe,
Wo immer sie geh’n und steh’n,
Trinkt auf all ihr Begehr, und sie wünschen so sehr,
Zurück in die Heimat zu geh’n.
(Die werden sie nimmermehr seh’n!)


DER PAPST.
Von OSKAR PANIZZA (Paris).

Wieder geht Einer dahin aus jener
grossen Reihe, die einst die Herrschaft
über die Geister — und zuweilen auch über
die Länder — in ihrer Hand hielt. Man
möchte, um die ganze seltsame Institution
zu verstehen, vom Papstthum — und
nicht von einzelnen Päpsten — reden,
wie man von einer Koralle spricht, ob-
wohl man weiss, dass sie aus vielen
minutiösen Purpur-Thierchen besteht. Denn
uns imponiert die Koralle. Und auch dort
waren es nicht die einzelnen purpurnen
Organismen, die soviel Aufsehen machten,
sondern ihre Zusammensetzung, die Com-
position, die Institution. Diese ganze In-

stitution aber, die ganze Koralle, das
Papstthum, ist ein höchst interessantes
Gebilde in dem brausenden Meere der
abendländischen Geschichte und verdient
sowohl die Aufmerksamkeit des Cultur-
fahrers, wie des mit dem Mikroskop arbei-
tenden Psychologen und Naturforschers.

Das Papstthum ist heute eine ver-
geistigte Institution geworden. Die kleine
Wunde, an der der Papst litt, ist ein
Kinderspiel gegen die Wunden, an denen
die Päpste früher litten. Früher war das
Papstthum eine fürchterliche Macht, der
sich zu widersetzen ein Spiel auf Leben und
Tod war. Daher waren auch die Angriffe

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 253, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-11_n0253.html)