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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 254

Text

PANIZZA: DER PAPST.

auf diese Macht von einer Maßlosigkeit,
die uns heute in Schrecken versetzt. Wenn
man liest, was die Genfer Satiriker im
XVI. und XVII. Jahrhundert leisteten, z. B.
die »Comédie du Pape malade et tirant
à la fin les entreprises et machi-
nations qu’il fait avec Satan
« vom Jahre
1561; oder des gewaltigen Kapuziner-
generals Bernardino Ochino »Tragö-
die«, 1549, welche er auf der Flucht von dem
sicheren England aus herausgab (deutsch
von Prof. Benrath unter dem Titel »Des
Papstthums Entstehung und Fall«, Halle
a. d. Saale, 1893); Luthers zermalmende
Schrift »Wider das Bapstum zu Rom
vom Teuffel gestifft«, 1545; — oder das
Schlimmste und Grasseste vielleicht,
was je gegen Rom geschrieben — die
»Apotheosis Pauli III. (epistola de morte
Pauli III. pontificis
)«, 1549, ein Brief
über den Empfang Pauls III. in der Hölle
(auch deutsch unter dem Titel »Paesquillij
von dem Tode Pauli des dritten Bapsts,
ein Sendbrieff«, 1555), so erstaunt man
über die Furchtbarkeit des Angriffes und
berechnet darnach die Schwere der Last,
mit der damals Rom auf alle Gemüther
des Abendlandes lastete. Und diese Last
war wahrlich keine geringe. Bonifaz VIII.,
unter dem das Papstthum die höchste
Macht erreichte, setzte sich am ersten
Tag der Wahl die Tiara auf und sagte:
sum pontifex! Am nächsten Tag erschien
er mit dem Schwerte und sagte: sum
rex!
Zwei Könige, der von Neapel und
der von Ungarn, bedienten ihn beim Essen.
Von da an suchten die Päpste neben ihrer
geistigen Macht auch eine rein weltliche
auszuüben. Bonifaz verschenkte innerhalb
zweier Jahre zwei Kaiserthümer und
mehrere Königreiche, und die Beschenkten
und Enterbten fielen übereinander her. Er
verfluchte nur acht gekrönte Häupter.
Nachdem Amerika entdeckt worden, und
die menschliche Phantasie zu ahnen be-
gann, was da noch zwischen dem atlan-
tischen und stillen Ocean für unbekannte
Erdreiche auftauchen könnten, verschenkten
die Päpste auch die noch nicht entdeckten
Erdreiche an ihre Günstlinge, einfach mit
dem Zirkel, nach Breitegraden. Sie de-
cretierten, dass den von ihnen Verfluchten
auf der ganzen Erde kein Bissen Brot ver-
abreicht werde. Aber schon Bonifaz VIII.

erhielt den ersten Stoss. Philipp der
Schöne
von Frankreich, der sich auf
seine Barone verlassen konnte, verweigerte
die Erhebung päpstlicher Steuern in seinem
Lande und verbot die Ausfuhr von Gold
und Silber. Als der Papst ihn abzusetzen
drohte, schrieb ihm Philipp einen Brief,
in dem die Worte vorkamen: »Sciat tua
maxima Fatuitas, in temporalibus nos
nulli subesse!
« Das war 1302. Die ganze
Welt lauschte auf. Diese Sprache war
bis dahin nicht gehört worden. Von da
an gieng es abwärts. Nur noch ein
Papst nannte sich Bonifaz. Dann er-
losch dieser Stamm.

Bald beschränkten sich die Päpste
weise, nur noch im Reiche des Geistes
zu herrschen und die Erde denen zu über-
lassen, die sie im Besitz hatten oder er-
oberten oder — entdeckten. Und auf
dem Gebiete dieser rein geistigen Ent-
scheidungen haben sie zuweilen Schönes
und Grossartiges geleistet.

Und ihr Sieg war dann am gross-
artigsten, wenn sie ihre Entscheidung in
rein christlichem Sinne und zur Wahrung
des im Christenthum steckenden asce-
tischen und setbstüberwindenden Princips
der rohen Willkür und der rein materiell
sich äussernden Macht entgegensetzten,
wie in jenem berühmten Kampfe Gre-
gors
VII. gegen Kaiser Heinrich IV.,
der frierend und gedemüthigt im Schloss-
hofe zu Canossa seine Lösung vom Bann
erwartete. Dies war trotz allem Bedenk-
lichen, das dieser Sieg sonst hatte, ein
Sieg des Geistes über die Materie.

Und diese Siege des Papstthums werden
in der Geschichte stets als hoch und
achtunggebietend dastehen.

Ist das Papstthum heute wenigstens auf
geistigem Gebiete noch Alleinherrscher?
Nein. Zwar nimmt die Theologie auf allen
Facultäten dem Range nach den ersten
Platz ein. Aber factisch hat die Philo-
sophie die Theologie depossediert. Seit der
Renaissance, und seit Plato und Aristo-
teles
mit der antiken Literatur ihren Einzug
in das Italien des XIII. Jahrhunderts hielten,
war die geistige Alleinherrschaft des
Christenthums gebrochen. Übt der Papst
wenigstens im Gebiete der christlich ge-
bliebenen, der nicht-philosophischen Welt
noch das Alleinherrscher-Recht aus? Auch

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 254, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-11_n0254.html)