Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 255

Der Papst Jan Toorop I. (Panizza, OscarZilcken, Ph.)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 255

Text

ZILCKEN: JAN TOOROP.

nicht mehr. Seit Luther, Zwingli und
Calvin hat sich fast die gesammte
germanische und ein kleiner Theil der
romanischen Welt seiner Omnipotenz ent-
zogen. — Übt er es wenigstens noch
im Bereiche der katholisch gebliebenen Welt
aus? Äusserlich ja. Streng genommen
auch nicht mehr. Er kann nur unter den
gefährlichsten Compromissen noch seinen
Worten und Entscheidungen Geltung ver-
schaffen. Er muss gegen die Czechen
zurückweichen, er muss gegen die
Amerikaner zurückweichen und er muss
gegen die Franzosen zurückweichen. Die
Institution des Verkündigens und Ent-
scheidens urbi et orbi ist heute eine Ein-
richtung des wirtschaftlichen Lebens
geworden. So kann man Rockefeller in
Pittsburg Papst nennen. Wenn Rocke-
feller
in Pittsburg seinen Mund an das
Telephon hält und ruft nach Newyork,
London und Paris: »Der Liter Petroleum
kostet von morgen an 60 Pfennige!« so
kostet er auf der ganzen gesitteten Welt
60 Pfennige. Wir haben die Unfehlbar-
keit
dieser Entscheidung im Sommer 1895
zu spüren bekommen. Und man glaube
nicht, dass Rockefeller etwa weniger
für Kunst und Wissenschaft thue. Dieser
Papst hat schon ca. 10 Millionen Dollars

den Universitäten seines Landes geschenkt.
Und wenn keine Michelangelos dort
entstehen, ist es nicht seine Schuld.

So blicken wir heute nur noch mit
einer menschlichen Empfindung auf den
alten, ehrwürdigen Mann in Rom, der so
tapfer und humorvoll die Operation über-
standen; der so massig lebt wie ein Hirte;
der so gute lateinische Gedichte macht;
der so sorgfältig und achtsam die geistigen
Kräfte des Papstthums benützt und con-
serviert; der Bismarck den Christus-Orden
verliehen; dem wir die Wiederherstellung
der Gemächer Alexanders VI. verdanken;
der den Zugang zu den päpstlichen
Archiven, den Pius IX. hatte zumauern
lassen, wieder aufmauern liess; und dessen
geistige Züge Lenbach für die Nach-
welt verewigt hat.

Jenes dunkelglühende Korallenriff, das
aus vielen Hunderten purpurner Organismen
besteht, auf das die Welt jahrhunderte-
lang mit Angst und Entsetzen hingeblickt,
an dem so viele stolz befrachtete Schiffe
gescheitert sind, es liegt heute tief unter
dem blauen Meeresspiegel des ausgehenden
XIX. Jahrhunderts, und nur bei ganz
tiefem Wasserstand wird es noch deutlich
sichtbar und scheint gefährlich werden
zu können.


JAN TOOROP.
Nach persönlichen Mittheilungen des Künstlers.
Von PH. ZILCKEN.
I.

Jan Toorop ist 1860 in Poerworedjo,
einem abgelegenen Orte auf Java, geboren.
Sein Vater, zuletzt Resident von Sambas
(Nord-Borneo), war von nordischer Abkunft,
seine Mutter das Kind eines Engländers
und einer Javanerin.

Kaum drei Jahre alt, wurde er, während
er vor dem Hause seiner Eltern auf dem
Wege spielte, durch eine wüste Bande
von Amok-Läufern, die auf alle Europäer
Jagd machten, beinahe getödtet. Der ein-
geborene Gärtner wusste ihn noch gerade
zur rechten Zeit zu retten. In Poerworedjo

brachte er seine Jugend zu; seine Spiel-
gefährten waren fast ausschliesslich javani-
sche, arabische und chinesische Jungen,
in deren Heimstätten ihn seltsame Formen
und reiche Farben frappierten, und mit
denen er rings in der bergigen Umgegend,
in Urwäldern und zwischen Wasserfällen
ein phantastisches und für seinen jugend-
lich-empfänglichen Geist recht eindrucks-
volles Milieu genoss. Durch alles erregt,
was er um sich erblickte, blieb er oft
stundenlang platt ausgestreckt im Schatten
des »Pendoppo« liegen, träumend oder

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 255, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-11_n0255.html)