Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 263

Hugo Wolf »Der Corregidor« (Vancsa, MaxHaberlandt, Mich.)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 263

Text

HABERLANDT: DER CORREGIDOR.

gehen, indem es nach dem sensationellen
Erfolge eines Concertes im Jahre 1894,
in welchem Siegfried Ochs Bruckners
»Te Deum« und Lieder und Chöre von
Wolf zur Aufführung brachte, einen
eigenen Hugo Wolf-Verein gründete. Da
konnte denn auch Wien nicht länger
zurückstehen. Vielleicht war hier der Ton-
dichter selbst sein eigener Feind ge-
wesen. Seine Absonderlichkeit und Gallig-
keit, Vorläufer des schweren geistigen
Leidens, das ihn später niederzwang,
hatten ihm manche Sympathien entfremdet,
denn er besass die sonderbare Gabe, gerade
die Freunde zuweilen am tiefsten zu ver-
letzen. So wurde denn im April 1897 der
Hugo Wolf-Verein in Wien so recht eigent-
lich über seinen Kopf hinweg gegründet.
Wenige Monate später zeigten sich bei
dem unglücklichen Tondichter, vielleicht
nicht in letzter Linie heraufbeschworen
durch die Schwierigkeiten, die sich einer
Aufführung des »Corregidor« an unserer
Hofoper entgegenstellten, Zeichen von
geistiger Gestörtheit. Nun, da das alte
tragische Geschick der grossen deutschen
Künstler über ihn hereinbrach, erwachte
auch das Interesse des Publicums. Der
Hugo Wolf-Verein erzielte ungeahnte Er-

folge, fast alle bedeutenden Liedersänger
nahmen die Werke in ihre Vortrags-
ordnung auf und alles wetteiferte, das
schreiende Unrecht der jahrelangen Ver-
kennung und Unterdrückung wieder gut
zu machen, selbst unsere Kritik beeilte
sich, gewarnt durch die Fälle Wagner
und Bruckner, beizeiten einer historischen
Blamage zu entgehen. Freilich spät, sehr
spät, vielleicht zu spät, denn nach kurzen
Lichtblicken haben sich die Nebel tiefer
auf den Geist des Tondichters herabgesenkt,
wenn es auch niemand fassen und glauben
kann, dass dieser so überaus reiche Genius
für immer erloschen sein soll. Wie es
auch kommen mag, sein Platz steht fest
in der Geschichte der Musik und von ihm
können die schönen Worte aus dem Ge-
dichte Michel Angelos gelten, dessen
Vertonung er gewissermassen als letztes
Vermächtnis dem deutschen Volke über-
geben:

»Kein Mensch hat damals acht auf mich
gegeben,
Ein jeder Tag verloren für mich war,
Ich dachte wohl, ganz dem Gesang zu leben,
Auch mich zu flüchten aus der Menschen
Schar.
Genannt in Lob und Tadel bin ich heute,
Und dass ich da bin, wissen alle Leute.«


DER CORREGIDOR.
(Oper in 4 Acten von Hugo Wolf. Erste Aufführung Samstag den 8. April 1899 im Deutschen
Landestheater zu Prag.)
Von MICHAEL HABERLANDT (Wien).

Es war vor zwei Jahren.

In einem einsamen Künstlerheim, vier
Treppen hoch, fand sich damals eine
kleine Gemeinde von Musikfreunden,
Männern und Frauen, zusammen. Es war
ein Meister der Töne, ein zauberischer
Spielmann, der droben hauste. Man kam
zu einem, der auch die Götter bei sich
empfieng, wenn man zu dem kleinen
Musiker mit den durchdringenden Augen
hinaufstieg. Schon war das Junggesellen-
bett, das mit wenigem, bequemen Mo-
biliar im ersten Zimmer stand, bedeckt

mit der Garderobe der Damen; schon
schleppten die Freunde Stühle aller Art
und Grösse aus den verborgensten Win-
keln der heimlichen Wohnung in das
Arbeitszimmer des Musikers, in dessen
Mitte ein blonder Flügel aufgeschlagen
steht. Ein süsser Blumenduft würzt vom
Schreibtisch her die kühle Luft des
Raumes, aus nickenden Narzissuskelchen
verstreut, die sich graciös über den
reichen Blumenschmuck des Tisches neigen.
Der einsame Musiker hatte heut’ seinen
Geburtstag.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 263, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-11_n0263.html)