Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 264

»Der Corregidor« (Haberlandt, Mich.)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 264

Text

HABERLANDT: DER CORREGIDOR.

Es war keine gewöhnliche Gesellschaft,
die damals zu dem stolzen Liedermann
hinaufstieg, es sind Köpfe und einige
schöne und kluge Frauen darunter. Kein
Salongeplauder: eine kleine, leise Scheu
dämpft aller Stimmen. Sie wussten, zum
Schwatzen sind sie heute nicht gekommen.
Der Musiker wird seine Oper spielen, die
vor zwei Jahren in einer guten deutschen
Stadt auf den Brettern erschien, aber
sonst und seither in der Partitur schlum-
merte. Einige Freunde haben sie damals
gehört, und sie zwinkern schon lange mit
verheissungsvollem Lächeln der Wissenden.
Andern wehte die Gelegenheit ein paar
Töne zu. Zwei Neulinge haben nur noch
rasch das Textbuch gelesen und kennen
den Stoff: einen prächtig spanischen, kühn
und hold, Weibesreinheit und Gattenliebe
im Mittelpunkt, ein dreister Wüstling und
alter Geck als drohendes Verhängnis, —
witziges Salz und feuriger Wein, und in
allem die kurze spanische Weise, spitzig
und blank wie ein guter Stahl. Mit einem
Wort: »Der Corregidor«. Diese Oper wird
heute zum erstenmale in Wien gespielt,
vier Treppen hoch, auf der »freien Bühne«
der Phantasie. Ein hochherrliches Or-
chester: der Componist am Clavier. Die
Besetzung die beste: jede Rolle vom Com-
ponisten markiert; und im Parterre lauter
Empfänglichkeit, auch die geistreiche
Librettistin und — kein Recensent.

Der volle Schein der schirmlosen
Lampe fällt auf das Antlitz des kleinen
Musikers, der mit stolzem Lächeln soeben
das Vorspiel angefangen hat. Markig und
klangvoll tönt es durch den Raum: in
der entfesselten Tonflut tauchen zauber-
haft die ersten Umrisse der Gestalten auf,
die bald ihr Spiel beginnen werden. Wie
arbeitet die Musik in den Zügen des
Spielers! Völlige Entrückung liegt auf
diesem blassen Antlitz, diese Augen schauen
geisterhaft, was die stürmende Musik er-
zählt, und Heiterkeit, Beseligung und In-
grimm fliegen immerfort in jähen Lichtern
über die vergeisterten Mienen.

Abseits sitzt ein Kenner, tiefgebeugt
über die Partitur, vor einem kleinen Tisch-
chen; er starrt oft von den Noten auf
und blickt in tiefem Staunen auf den
kleinen Meister. Der Notenwender zur
Linken verlernt zu seinem Schrecken ganz

das Umblättern, und im dunklen Hinter-
grunde des Raumes lauschen die Zuhörer
gebannt — ihre Augen glänzen.

Und nun treten sie wirklich vor uns
hin, der wackere Müller und die reizende
Müllerin, und der stolze Corregidor naht
und spreizt sich und girrt, und es lacht
schwellend die Traube im grünen Laub
und es ist ein unbegreifliches Wunder
redender Musik, malender Tongewalt. Die
ganze Mühle singt, der plätschernde Bach
und das summende Feuer am Kochherd,
sie singen und spielen mit auf der Bühne
dieser Musik, welche die Handlung an-
füllt bis zum Rande, wie eine Schale
mit Schaumwein angefüllt ist. Habt Ihr
schon drei Stunden lang mit hellem Kopfe
strömenden Champagner getrunken? So
war diese erste einsame Aufführung, vier
Treppen hoch — eine umgekehrte Dithy-
rambe

Das war vor zwei Jahren.

Und nun haben sie vor einigen Tagen
den »Corregidor« auf die Bühne gebracht,
natürlich noch nicht in Wien, erst in
Prag, in seinem Deutschen Theater.

Inzwischen hat die unheimliche Nach-
barschaft von Genie und Wahnsinn wieder
einmal den schmerzlichsten Beweis erhalten,
in diesem Falle, wo er den Freunden grau-
sam überflüssig scheint und die Feinde
vermuthlich doch nicht überzeugt. Es war
das Werk keines Lebenden mehr, das in
Prag aufgeführt wurde. Die Suggestion
des Lebens ist von ihm abgefallen, die
Verführung der Persönlichkeit von ihm
gewichen. Das verwaiste Werk, auf sich
allein gestellt, trat auf den Plan.

Und es hat ihn behauptet, es hat
sich behauptet. Es wird bleiben. Denn es
ist ein Kunstwerk, trotzdem es eine Oper
ist. Das spanische groteske Lebensbildchen,
das ihm den Umriss gibt, füllt es aus
tiefen reinen Quellen mit strömendem
musikalischen Leben bis zum Rande aus.
Die Leuchtkraft seiner Farben schlägt
überall sprühend und glitzernd über die
Contouren, zumal die Spitzen der Handlung
hinaus, wie St. Elmsfeuer; die Pulse
seiner Musik überjagen das Wort und die
Bühnenwirklichkeit Blühende Kraft
thut so allein. Sind wir wirklich so reich,
dass wir an solchen strömenden Kraftquellen
noch länger achtlos vorübergehen dürften?

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 264, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-11_n0264.html)