Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 265

Juliane Déry (Meyer Förster, Elsbeth)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 265

Text

JULIANE DÉRY.
Ein Nachruf von ELSBETH MEYER-FÖRSTER (Berlin).

»Mutti, kommt Tante Julka nun nie
mehr zu uns?«

»Nie mehr, Liebling.«

Mein kleines Töchterchen sieht mich
an, mit grossen, runden, fassungslosen
Augen. »Sie wollte mir doch noch Oster-
eier bringen — — Mutti, ist Tante
Julka wirklich todt?!?

Es liegt so viel Unglauben, so viel
Unvermögen in dieser Frage, das Wort
»todt« zu erfassen. Und wie dem sieben-
jährigen Kinde, so geht es mir. Ich kann
diesen Tod nicht fassen. — Niemals!

Dieses lebenskräftige, herrliche Dasein
soll abgelaufen sein! Dieser Strom von
jubelnder Lebensfreude urplötzlich abge-
schnitten! — Verlaufen, versanden soll
das alles dort draussen, in der kalten
Grube auf dem Kirchhofe der Jork- und
Grossgörschenstrasse. — Nie hat sie zu
Lebzeiten den Fuss dort hinaussetzen
mögen, wo über die Eisenbahntunnels die
Stadtbahnzüge brausen. — Und nun ist
sie da eingescharrt. — — — Vor meinen
Augen steht ihr Bild, wie Stuck sie
skizziert hat; der seltsame, leicht geneigte
Kopf mit der fliegenden Haarflut und
den sphynxhaften Augen. Aber in meiner
Seele ist ein ganz anderes Bild. Nichts
von einer Sphynx. Juliane nur, »das liebe,
immer gütige, bescheidene Mädchen«,
wie ihr alter Freund, Freiherr von Dinck-
lage, sie noch vorgestern nannte. Julka
nur, die wilde, muntere, lebenssprühende,
der herrliche Kamerad, mit dem ich eine
Zeitlang Hand in Hand marschieren durfte.
Julitschka nur, das Ungarmädel, mit dem
ewig heissen und jungen Herzen und der
hellstürmenden Begeisterung — das Steppen-
kind.

Ich blicke auf die mit ihr verlebte
Zeit zurück; so mögen Männer ihre
Studentenjahre überschauen. Gesang, Über-
schwang, viel unnöthige, viel glückselige
Begeisterung. Im Ganzen Tage, über denen
die Sonne lacht, fern der grauen Kälte

des Philisteriums. — Dergleichen kommt
nicht wieder.

Im Theater lernten wir uns vor eini-
gen Jahren kennen. Eine in Ehren er-
graute Scribentin stellte uns einander
vor. Ich war gleich ganz eingenommen
von dem eigenartigen Reiz der fremden,
mir um viele Jahre überlegenen »Colle-
gin«. Damals gebrauchte ich diesen
Ausdruck noch nicht; das Schreiben
war mir so Nebensache. Das Leben war
ja so schön. Nur manchmal riss ich so
hie und da ein paar Seiten herunter.
Anders Juliane. Sie gieng auf in ihrem
Streben, ihrer Kunst, der sie sich nach
den raschen Erfolgen der ersten, ur-
wüchsigen, fast unbewussten Versuche mit
Ungestüm in die Arme geworfen hatte.
Etwas muss man lieben — als Ungarin;
ist es nicht ein Mann: dann Musik, ist
es nicht Musik: dann Tanz, ist es nicht
Tanz: dann schöne Verse. — — Man
hatte in ihr die Dichterin entdeckt, und
ihre Pusstaseele galoppierte nun frei dahin
in der ihr eröffneten Bahn. In Paris hatte
sie tändeln gelernt, in München lieben.
In Berlin lernte sie arbeiten. Gott, nahm
sie es ernst mit dieser Literatur! Ihr
kleines Zimmer in einer schönen, stillen,
gartenumgebenen Privatstrasse war an-
gefüllt mit Manuscripten, Dichterwerken
und Maculatur. Bis 5 Uhr nachmittags
sass sie in diesem baumumgrünten Käfig
und schrieb. Unten im Speisesaale der
»Pension« wurde um 1 Uhr Déjeuner ab-
gehalten, um 7 Uhr Diner. Sie aber
nahm nie theil daran; unwillig brachte
ihr das Stubenmädchen die kaltgewordenen
Platten herauf. Mit Gemüthsruhe nahm
sie entgegen, was man ihr gelassen hatte
— »’runter kann ich nicht, Elsbethel!
Diese reichen Handschuhmachersfrauen aus
Kentucky und Cincinati mit ihren Misses
und Misters sind so schrecklich — —«
Aber mitunter, wenn sie mir den ganzen
Abend lang vorgelesen hatte, gieng sie

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 265, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-11_n0265.html)