|
(mir zu Ehren) doch hinunter in den
Speisesaal; und dann machte es mir
Spass, die giftigen Blicke der versammelten
Herrschaften zu beobachten, mit denen
sie diese weisse Schwalbe, die ihrem ge-
selligen Geschnatter so fern blieb, fixierten.
Aber Juliane hatte so gar keine Haut für
die Kleinlichkeiten und Missgünstigkeiten
der lieben Welt. Sie merkte es nicht,
wenn man über ihre stürmische Frisur,
ihre träumerische Zerstreutheit herfiel.
Auch in Gesellschaften habe ich mich oft
über diese ruhige, lächelnde Haltung im
Kreise so vieler zischelnder Schneegänse
gewundert, deren kleines Hirn mit den
Begriffen »überspannt«, »exaltiert«, »ver-
dreht« nicht fertig werden konnte. Sie
brachte allen Menschen dieselbe gütige
Beurtheilung entgegen. Da war kein Weib
so dumm, so klein und so banal, dass
es nicht an ihr immer noch einen Ver-
theidiger gefunden hätte. Ich höre noch
ihre schöne, dunkle Stimme in so be-
gütigendem Tone, wenn ich mich über
die kleine, verhuzelte X — — oder über
die polizeiwidrig hässliche Y — — ent-
rüstete:
»Elsbethel — nicht schelten! Sehen
Sie sie ’mal genau an: sie hat so ’was
Liebes im Lachen.« Oder: »Die kann so
herzig sein; man muss nur warten, bis
man ihre gute Stunde trifft!«
Überall fand sie etwas »Herziges«,
etwas, das doch noch wert war, geliebt
zu werden, selbst an den äusserlich un-
a usstehlichsten, ihr feindlichsten Menschen.
Wie ein Blinder, dessen Blick nach innen
gerichtet ist, sah sie nur das reiche Leben
ihrer eigenen Seele, das arme der Aussen-
welt nicht. Ein ewiger Strom von Menschen-
liebe, von Begeisterung und kindlich naivem
Enthusiasmus gieng von ihr aus
Diese 35jährige Frau war ein junges
Mädchen an Menschenglauben — — —
Aber das Leben, ihr Feind, ward oft stärker
als sie. Es kamen Tage, da ich sie matt
und wie erfroren fand, von Enttäuschungen
erdrückt — vielleicht auch, sehr wahr-
scheinlich, spielte die Liebe mit hinein.
Sie sprach nicht hievon; sie war keusch
bei aller unbändigen Lebenskraft; ich habe
nie ein reineres Frauengemüth gefunden
als das ihre. Aber ich errieth — und es
schnürte mir das Herz zusammen, sie so
|
in stummer Hoffnungslosigkeit sitzen zu
sehen, in diesem einsamen Käfig der
Potsdamerstrasse, in dem ihr fremden,
kalten, feindlichen Berlin. Da fieng ich
denn an zu reden. Und je trüber und
stummer und starrer sie wurde, je tiefer
mir rings um ihren Mund diese seltsame,
weltverachtende Linie schien —, desto
eifriger wurde ich. »An einen Mann sich
kehren — heutzutage — ha!« Meine
Worte überstürzten sich. »Sich revanchieren,
einfach! Doch nicht etwa trauern! Doch
nicht elend werden!« Und je todter und
steinerner der Ausdruck in dem Gesichte
vor mir, das mich gar nicht zu hören
schien, desto verzweifelter mein Anlauf. Wie
zu einer Bettelprinzessin, der ihr Liebster
untreu geworden, redete ich auf sie ein, mit
dieser banalen, laxen Lebensweisheit, die
uns das Mitgefühl in solchen Stunden auf
die Lippen jagt — — Sie schien auch
aufmerksam zu werden. Ihr Blick hob
sich und sah mich prüfend an — — Er-
muthigt rede und fiebere ich weiter — —
Plötzlich weckt mich ein helles, schmet-
terndes, herzliches Lachen, das die Wände
zu erschüttern scheint — Verlegen, ganz
empört, fahre ich empor. Da steht sie
vor mir, die Hände nach mir ausgestreckt,
das Gesicht überstrahlt von ihrem alten,
unverwüstlichen Humor — lachend —
lachend!
»Elsbethel! Nein, aber Elsbethel! So
lieb frivol zu sein! O Dumme! Dumme!
Dumme! Die ganze Hölle redet sie sich
an den Hals, um mich zu trösten. Nein,
so frivol! Und so lieb und so dumm!«
Ich höre es noch, dieses herrliche
Lachen. Ich sehe mich noch in meiner
ganzen Verblüfftheit stehen, bis ich ein-
stimme in diesen Strom von neu auf-
ebbender Lebenslust. — O wäre ich dies-
mal so zu ihr gekommen, an diesem
Charfreitag, als der letzte, der herbste
Streich auf sie niedergefallen war! Hätten
wir sie diesmal nicht allein gelassen, da
um sie herum das fröhliche Ostertreiben,
in ihr und vor ihr aber grenzenlose Ein-
samkeit war. — Wäre ich noch in der
zwölften Stunde gekommen, ehe die Nacht
über ihre Verzweiflung herniedersank! Ja,
— wäre!! — — —
Von demselben Balkon, auf dem auch
ich fast zwei Jahre lang hauste, vor sich
|