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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 269

Text

BÜCHER.

Der Lyriker hat vor dem unendlichen
Wellenspiel der Seele nichts als eine Sprache,
die tausend Schatten und Lichter gewaltsam
in ein Wort zusammenrafft. Er kann einige
Dutzend dieser armseligen Dinger kunstfertig
aufstellen, dass gleichsam ein Strahl des Ge-
fühles sich zwischen ihnen hin und wider bricht
und spiegelt. Er kann den Rhythmus der
Sätze, den Klang der Vocale, den ungefähren
Gefühlsinhalt der Worte abtönen und stimmen
zu einem Ganzen. Im letzten Grunde wird er
immer daran leiden, dass gerade bei ihm alles
»Vergängliche nur ein Gleichnis« ist.

Aus dieser Unzulänglichkeit der Sprache
sind solch leidenschaftliche Befreiungsversuche
wie Alfred Momberts »Schöpfung« dem
Zuschauenden ebenso erklärlich und sym-
pathisch, wie sie dem »Volke« unerklärlich
und ärgerlich bleiben.

Befreiungen bringen immer Zerrungen
mit sich. Aber der Misston dieses Buches ist
nicht allein darauf zurückzuführen. Man kann
sogar sagen: seine halbvollendete Form würde
erfreulich wirken, wenn ihr der Inhalt ent-
spräche, wenn er weniger klar wäre, wenn
mit dem Worte gleichzeitig der Sinn nach Be-
freiung ränge. Der Geist der »Schöpfung«
ist kühn, aber lässig und ohne Sehnsucht.

Wenn wir der Renaissance nachrühmen,
wie sie die Persönlichkeit zum Selbstbewusst-
sein entwickelt hat, so könnten Tadler an
unserer Zeit aussetzen, dass sie die Persön-
lichkeit mit Bewusstsein verschleudert, dass
sie ein leidenschaftliches Bemühen des Ein-
zelnen zeigt, sich nach aussen in die Welt zu
zerstreuen. Aber selbst das typische Beispiel
dieser Sucht, der »Frühling« des Johannes
Schlaf, zeigt die Zerstreuung nur in der
äusseren Form. In dem Gefühle, das unter den
zu breiten, zu weichen Sätzen stark und
glühend fliesst, lebt das Verlangen, die eigene
Persönlichkeit nicht für sich, sondern als
Brennpunkt all der Unendlichkeiten zu er-
leben, in dem eigenen Glück das »Weltglück«
zu erjagen, wie der unverbesserliche Schlag-
wortpräger Richard Dehmel sagt.

In Mombert hat sich diese Art der Lebens-
sehnsucht auf die Spitze getrieben. Er fühlt
sich nicht nur als der Brennpunkt, in dem
sich die Strahlen der Welt beglückend einen:
er ist die Quelle dieser Strahlen. Darum
braucht er sein Glück nicht durch das Welt-
glück zu erhöhen, er strahlt sich selbst in die
Welt hinaus und beglückt sich als Schöpfer.
Aber er kann die Allmacht des Schöpfers nur
fühlen: er kann sie nicht »thun«. Die Stunde
des Schaffens ist gewesen. »Es ist Abend ge-
worden.« Die Schöpfung ist vollendet. Sein
Glück, das letzte Glück des Schöpfers, sind
die Träume zurück in die »frühe Morgenewig-
keit«, wo aus seiner Kraft das Meer und die
Sonne wurden.

Diese Gottträume sind ein grosser und
würdiger Inhalt der »Schöpfung«. Aber doch
nicht so unerhört, so aus aller Entwicklung
springend, wie ihr Träumer meint, der sie
drucken lässt und Sprüche darunter setzt, wie:

»Fremder, der Du dies liest bei der Nacht-
lampe, das hast Du nie gefühlt«. Freilich
geben sie nicht schlechtweg den Gefühlsinhalt
der »Volksseele«, und ihre Sprache kann nicht
die der landesüblichen Liederdichter sein. Man
darf deshalb mit kluger Milde Denen verzei-
hen, die von dem »Versgestammel eines deca-
denten Poeten« reden, weil ihnen ein unzu-
gänglicher Inhalt keinen Schlüssel zur Sprache,
und eine seltsame Sprache wiederum keinen
Schlüssel zum Inhalt gibt.

Aber weil zur Zeit kein lyrisches Werk
vorliegt, das auch dem Liebevollsten bei aller
Grösse und Verständlichkeit im Ganzen soviel
Unverständlichkeit im Einzelnen lässt, müssen
wir hier auf ein Missverhältnis zwischen dem
Metall und seiner Prägung schliessen. Mombert
selbst bestärkt uns darin. Er kann es sich
nicht versagen, aus seiner Gotthöhe den
»deutschen Dichtern« einen Seitenhieb zu ver-
setzen, weil sie sich noch mit niederen Stoffen
plagen. Er thut alles, um sich als Einen dar-
zustellen, der in seiner Seele den anderen
Menschen unbegreiflich ist. Darin liegt für den
Künstler ein bedenkliches Geständnis. Nicht
schon die Weisheit macht den Dichter, erst
ihre Darstellung. Derjenige wäre ein voll-
endeter Schöpfer, der die Gottträume dieser
»Schöpfung« allen begreiflich machte.

Da bleibt uns, die wir einen solchen
Träumer trotzdem lieben, nichts übrig, als ihm
zu sagen, dass wir ihn überall da verstehen,
fühlen und verehren, wo der Künstler in ihm
Herr über ihn selbst geworden ist, wo ein
klares Wort ein klares Bild gibt. In keinem
Menschenhirn wachsen so grosse Gedanken,
dass sie nicht in anderen ihr Echo fänden. Sie
müssen nur ihre deutliche Sprache haben. Und
die lässt die Mombert’sche »Schöpfung« an
entscheidenden Stellen vermissen.

Sie ist im Ganzen von ausserordentlichem
Wurf. Sie wird von einem Rhythmus getragen,
der in seinem Wechsel, seinen Sprüngen und
Wendungen Reize kosten lässt, wie keiner vor
ihm. Sie hat Stellen von höchster Einfalt und
Schönheit; Stellen, die wie herrliche Bibel-
worte klingen. Aber es sind nur Stellen. Es
ist alles sprunghaft. Einmal tief und leuchtend,
dann wieder dunkel und trocken, scheinbar
absichtlich verworren. Neben einfachen Bildern,
die dem kindlichen Gemüth geheimste Seelen-
vorgänge deutlicher machen, als der Dichter
selbst glauben möchte, stehen andere, die ge-
wollt und komisch wirken. Um es anschaulich
zu machen: man hat den Eindruck, einen
Fremden in unserer Sprache reden zu hören.
Er ist immer ganz mit seinem Gefühle darin,
er glaubt sich verständlich auszudrücken, auch
wenn er im Drange seines Herzens fremde
Laute in unsere Sprache mischt. Wir, die wir
nur unsere Sprache kennen, hören ein selt-
sames Durcheinander, wollen lachen über Ge-
spreiztheiten, ärgern uns an den Tollheiten
und stehen doch wieder betroffen vor den Ur-
lauten der Muttersprache, die immer von
neuem aufquellen. Die »Schöpfung«, in der
Grösse ihrer zahlreichen guten Stellen ge-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 269, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-11_n0269.html)