Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 13, S. 315

Der Theosoph Franz Hartmann Über Gustav Mahler (Arjuna, Harald van JostenoodeGraf, Dr. Max)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 13, S. 315

Text

GRAF: ÜBER GUSTAV MAHLER.

erwähnen, dass Hartmanns Urtheil über
jene merkwürdige Frau, »die Sphinx des
XIX. Jahrhunderts«, im ganzen durchaus
günstig ist. Ihr Werk aber, »Die Geheim-
lehre« (The Secret Doctrine), die zweite
Auflage von »Isis Unveiled«, bietet dem
nach Erkenntnis strebenden Menschen Stoff
genug zum Nachdenken für das kommende
Jahrhundert.

Hartmann verliess in Gemeinschaft mit
der Blavatsky Indien und hielt sich an ver-
schiedenen Orten Europas auf, namentlich
in Österreich. Reisen nach England und
Amerika unterbrachen öfters seine Studien.
Die Frucht seiner Studien liegt in einer
Reihe von Bänden vor uns. Er entschloss
sich erst spät, in deutscher Sprache zu
schreiben, da ihm das Englische allmählich
vertrauter geworden war. Wir hoffen,
dass seine Werke bald in einer billigen
Volksausgabe dem Publicum übergeben
werden, da die Höhe des jetzigen Preises
gewiss manchen abschreckt. Das Wasser
des Lebens hat Christus umsonst ge-
spendet; es ist nicht einzusehen, warum
es heute anders sein soll.

Als bedeutendstes Werk kann man
das zuerst in England erschienene »White
and Black Magic« ansehen, das in ver-
änderter Gestalt jetzt auch deutsch vor-
liegt: »Die weisse und schwarze Magie
oder das Gesetz des Geistes in der Natur«.

Eine Ergänzung dazu bildet »Karma oder
Wissen, Wirken und Werden«. Er gibt
auch eine eigene Zeitschrift unter dem
Titel »Lotusblüten« heraus, die wichtige
Artikel von ihm und Übersetzungen aus
dem Indischen bringt.

Wir gehen einer Periode entgegen,
die den metaphysischen Hintergrund der
Dinge erkennen will. Bis jetzt ist der
Drang nach solcher Erkenntnis nur bei
wenigen ausgebildet. Und das ist gut.
Denn wie Hartmann richtig sagt: »Sobald
eine Sache allgemein wird, so wird sie
gemein.« Solange das Christenthum sich
in den Katakomben aufhielt, stand es
hoch. Sobald es vom Markte Besitz ergriff,
sank es herab. So lebt die Gemeinde der
Theosophen still für sich hin, wie die
ersten Christengemeinden oder wie die
Rosenkreuzer und sonstigen Mystiker.
Jeder ist wie ein Stern, von dem geistige
Strahlen ausgehen, die die finstere Nacht
erhellen. Wer einen solchen Stern erblickt,
der wird von ihm, wie einst die Weisen
aus dem Morgenlande, zur Klarheit geführt.
Autoritäten, Führer und Dogmen sind
nöthig für die Blinden und Unmündigen.
Der wahre Glaube aber wird nur durch
die Liebe erlangt, denn die Liebe ist des
»Gesetzes« Erfüllung. Sie ist ein Strahl
jenes höchsten Lichtes, das da scheint
von Ewigkeit zu Ewigkeit.


ÜBER GUSTAV MAHLER.
Von MAX GRAF (Wien).

Unter sämmtlichen Wiener Künstlern
ist Gustav Mahler vielleicht der inter-
essanteste Charakterkopf. Schon aus dem
Grunde, weil er mit einer gewissen über-
müthigen Heiterkeit einen durchaus un-
wienerischen, ja antiwienerischen Typus
der Künstlermenschen repräsentiert, und
die tiefsten wienerischen Instincte auf ihn,
wie auf eine scharfe Säure, reagieren.

Darüber existiert — natürlich mit
Ausnahme von Wien selbst — nirgends ein
Zweifel, dass unter sämmtlichen deutschen
Hauptstädten die Spannung und Energie

des Geistes in Wien die schwächste und
trägste ist. Die sogenannten wienerischen
Tugenden sind nichts als schöne und
liebenswürdige Verklärungen dieser gei-
stigen Trägheiten. Das einzige Gebiet,
auf welchem der Wiener Geist schöpferisch
geworden ist — der Wiener Walzer —,
ist das der musikalisch veredelten Philister-
gemüthlichkeit. Selbst grosse Heerführer
und Schlachtengewinner hat der Wiener
Geist nur derart popularisieren können,
dass er ihnen Züge eines gelinden Cretinis-
mus angedichtet hat. So z. B. dem »Vater

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 13, S. 315, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-13_n0315.html)