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concurrieren, wo Alles, was im Leben
schön gewesen, zur Strafe der Missethaten
in Schmutz verwandelt wird. Die Schil-
derung steigert sich zu einer Stärke der
Gemeinheit, die eine diabolische Genialität
hat. Und dennoch, warum dieses Drama
ästhetisch kritisieren? »Advent« ist ja eine
reine Erbauungsschrift, und mögen jene,
welche diese Sorte Literatur lieben, sie
beurtheilen. Ich weiss nicht, ob ich mich
täusche, aber es scheint mir, als müssten
selbst die Strengen unter den Gläubigen
etwas Niederschlagendes in dieser Buss-
predigt finden, die in der Schilderung von
Sünden und Strafen schwelgt, aber kein
Wort der Liebe und Vergebung findet.
Die Religion der Geissel und der Zucht-
ruthe ist es, die dieses Drama mit wohl-
lüstiger Barbarei predigt. Ach, wie gut
erkenne ich doch den Gesellschafts-
züchtiger des »Rothen Zimmers« und des
»Neuen Reiches« wieder, den Frauen-
geissler der »Verheirateten« und den
Selbstflagellanten aus dem Inferno. Immer
Hiebe nach irgend einer Richtung, niemals
die Wärme des innigen Vergebens oder
die philosophische Ruhe der Nachsicht.
Und man fühlt sich versucht, aus der
Tiefe der Verscitate der Kindheit ein
altes Dichterwort hervorzuholen, um unter
seiner schützenden Hülle das bebende,
weiche, wehmüthige Sehnen nach offenen
Armen und verstehenden, klaren, milden
Augen zu verbergen, das Strindbergs
Dichtung so oft und besonders in »Advent«
hinterlässt, das alte Dichterwort: »Odin
und Thor, die kennest Du beide, Freya,
die Himmlische, kennest Du nicht«.
Das zweite Stück in »Vor höherem
Richterstuhl« ist in jeder Weise an-
sprechender und vollendeter. Es bewegt
sich allerdings auch in derselben Sphäre
und ist ebenfalls ein Schauspiel der Ge-
wissensqual. Aber das Problem ist hier
mit viel mehr Menschlichkeit behandelt,
wenn auch der Titel »Comédie«, den der
Verfasser dem Stücke zutheilt, einen
blutigen Hohn in sich schliesst; so durch-
aus ernst ist diese meisterliche, erschütternde
Tragödie. Ich stehe nicht an, dieses Stück
als das einheitlichste, künstlerisch voll-
endetste und geistig durchdachteste Werk
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zu bezeichnen, das Strindberg in seiner
letzten Dichterphase geschrieben; und
wenn darin auch nicht die wunderlich
zauberhafte Phantasterei aus »Von Da-
mascus« zu finden ist, so ist hingegen
das Ganze mit einer grösseren Logik auf-
gebaut, und das ganze moderne zerrissene
Leben mit seiner Angst pulsiert in diesen
Seiten. Das Drama erzählt, wie ein junger
Schriftsteller, Maurice, der unbekannt und
arm im Quartier Latin gelebt hat, wie so
viele andere Sterne, plötzlich durch einen
Theatersuccès, der seinen Namen auf
Aller Lippen bringt, berühmt wird. Der
Erfolg berauscht ihn wie ein allzu süsser
und starker Wein, und im Rausche ver-
lässt er seine alte Geliebte, die einfache
Frau aus dem Volke, mit der er früher
zusammengelebt, und von der er ein Kind
hat. Mit der Rücksichtslosigkeit des Siegers
nimmt er die Geliebte seines besten
Freundes, Henriette, und das Drama
schildert dann mit unvergleichlicher Seelen-
analyse und rauschendem poetischen Flug,
wie aus diesem Betrug eine Kette von
Unglück emporwächst, die ihn umschlingt
und verstrickt, wie ein unsichtbares, aber
undurchdringliches Netz. Sein Kind stirbt
an einer plötzlichen Krankheit, aber der
Verdacht weist auf Maurice als den Mörder,
und da er in Henriettens Armen wenigstens
einen Augenblick den Schatten des ver-
brecherischen Todeswunsches empfunden,
ist ein Funke in seine Seele gefallen,
dessen Brand nicht verkohlen will.
Mit dämonischer Dialectik hat Strind-
berg das ganze Heer geheimnisvoller
Consequenzen geschildert, die jede Hand-
lung mit sich bringt, und er ist dem Echo
einer verbrecherischen That durch die
Seele bis zu den flüchtigsten Vibrationen
nachgegangen. Wie sich aus einem kleinen,
auf den Wasserspiegel geschleuderten
Stein ein ganzes System von immer wei-
teren, immer umfassenderen concentrischen
Ringen bilden kann, sehen wir Henriettens
und Maurices Untreue Glied um Glied an
ihre Füsse schmieden, bis sie gefesselt
und verloren dastehen, und am Rande
des Unterganges einander schmähen und
beschimpfen, anstatt zu versuchen, Hand in
Hand ihr Schicksal zu tragen. So findet
sich keine andere Rettung als die gänz-
liche Vernichtung des eigenen Willens und
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