Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 14, S. 339

Schrift und Kunst (Haberlandt, Mich.)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 14, S. 339

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HABERLANDT: SCHRIFT UND KUNST.

und Inschriften — mit flottem Pinsel hin-
gesetzt — überall so malerisch gedeihen,
die uns mit unerreichbarer Leichtigkeit
und Sorglosigkeit gezeigt haben, wie man
sich mit dem Schriftzug mitten in die
Anmuth künstlerischer Schöpfungen wagen
dürfe. Der japanische Künstler hat dabei
noch den von Wenigen unter uns erkannten
Vortheil voraus, der in der Art seiner
Schrift als einer Begriffsschrift liegt, dass
der kalligraphische Zug, das kalligraphische
Verdienst seiner über das Kunstwerk —
sei es ein Aquarell, sei es Vase oder
Spiegel — verstreuten Aufschriften als ein
künstlerisches, sozusagen poetisches em-
pfunden wird, gleichsam als könnten wir
den Wohllaut eines Verses, den wir auf
Schüssel oder Krug malen, mit dem
Formen- und Farbenreiz des sonstwie
geschmückten Gegenstandes vermählen.
Wie sehr die Anmuth der japanischen
Lösungen des Problems: Schrift und Kunst
von unseren Künstlern empfunden wird,
zeigen die naiven, direct japanisieren-
den Schriftformen, in welche sie mitunter
unser so wenig schlitzäugiges Alphabet
geschickt gezwungen haben; aber es ist
doch mehr die Kunst auf Theebüchsen,
für welche solche Scherze sich eignen,
als die Kunst ohne solche Beschränkungen,
die Kunst schlechthin. Für diese hat das
Problem: Schrift und Kunst, welches von
den Zwecken dieser Welt so oft gestellt
wird, wie mir scheint, eine doppelte Seite.
Sie hat nicht nur jene Formen der Buch-
staben (ihre Silhouetten) und deren Ver-
bindung im Schriftductus zu entwickeln,
welche mit der modernen Ornament-
sprache im Einklänge stehen, sondern sie
hat ebensosehr die moderne Art der
Anbringung von Schrift auf Kunstwerken,
ihr räumliches Zueinander, dessen Princip
die künstlerische Bändigung des an sich
banausischen Schriftzweckes sein wird, zu
finden und zu ähnlich spielender Leichtig-
keit in die Gewalt zu bekommen, wie sie
mit unfehlbarer Treffsicherheit in der
Hand des japanischen Künstlers ist.
Wir dürfen uns nicht mehr wie der

Künstler des Barock oder Rococo mit
Schriftmedaillons und zierlich geschlän-
gelten Atlas-Schriftbändern behelfen, dürfen
nicht eine Mauer mit einem Buchdeckel
verwechseln, einen Ofenschirm mit der
Copierpresse decorieren Wir Menschen
des papiernen Zeitalters stehen in Ge-
fahr — oder standen es wenigstens bis
vor kurzer Zeit, die Welt der Mittheilung
ewig nur im Viereck des Setzerrahmens
zu sehen Uns in der Kunst von
der Tyrannei des Buchdruckergeschmacks
zu befreien und — wie die alte Volkskunst—
naiv und sorglos ihr Schriftliches überall
angebracht hat — mit bewusster Kühn-
heit und Freiheit der Schrift ihren Platz
zu weisen, wo sie ihn in der Kunst be-
anspruchen darf und so zu weisen, wie
sie ihn beanspruchen darf, das ist die
lohnende Aufgabe der modernen Orna-
mentiker, die gegenwärtig fortwährend
interessante Detaillösungen erfährt. Es ist
unterhaltend, einen Band der »Jugend«
oder des »Ver Sacrum« daraufhin durch-
zublättern. Auch in dieser kleinen künst-
lerischen Nebensache offenbart sich doch
prachtvoll viel Talent, und ich erwarte,
dass uns Herr von Larisch hierüber
sein zweites Wort sage, nach dem ersten,
welches er dem primären Detail der mo-
dernen Schriftsilhouette gewidmet hat.

Immerhin ist und bleibt die Schrift
— trotz der verführerischen Geschicklich-
keit der Modernen, sie zu ästhetisieren —
nur ein Accidens der Kunst. Das Wort,
die Schrift, müsste heilig werden und ein
Prophet wie einst, um die Kunst wirklich
zu beschäftigen. Es gab wohl eine Cultur,
in der Schrift und Kunst, technisch aufs
engste und kunstvollste ineinander ver-
schlungen, gleichsam auch in seelischer
Umarmung miteinander lagen — die
arabisch-mahomedanische —, aber diese
Herrschaft des Wortes, des religiösen
Wortes, ist zum Glück gebrochen. In der
Schrift wird die Menschheit niemals wieder
das geheimnisvolle Siegel des Seienden
verehren, sondern im besten Falle in ihr
die dürre Mumie der Wirklichkeit erblicken.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 14, S. 339, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-14_n0339.html)