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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 14, S. 340

Text

KUNST.

Ein Denkmal. Gibt es noch
Mannesmuth vor Fürstenthronen? Zwei
Gedankenstriche, die hier placiert seien:
— —, mögen bündige Antwort geben.
Aber dann gibt es wohl Mannesmuth
vor — Fürstenstatuen? Auch diese
Tapferkeit ist abhanden gekommen,
und was einst Jünglinge trotz Rad und
Pranger vor Lebenden gewagt, scheint
heute Denen die Rede zu verschlagen,
die von den Fährlichkeiten ehrlichen Be-
kennens füglich nur den stummen Zorn
eines ehernen Mundes zu fürchten haben.
So tief hat sich bedachtsame Scheu vor
Machtfactoren, die doch mitunter auch
Wahrheit zu dulden wissen, ins Herz der
freien Männer geschlichen, dass selbst das
kunstkritische Gewissen vor Ebenbildern
der Gewalthaber mit Absicht corrigiert
wird; so ereignet sich uns das chronische
Schauspiel, dass der so peinliche Hals-
gerichtsjargon, mit dem sonst in frevler
Strenge civile Kunstwerke oft grundlos in
den Boden gestampft werden, vor be-
troddelten Conterfeis zu einem kläglichen
nil nisi bene zusammenschrumpft. Gern
überträgt man die Ehrfurcht, die dem er-
lauchten Modell gebürt, auf das Facsimile,
das die geschätzten Züge trägt, und misst
mit dem Masse des Unterthänigen, wo
doch nur kunstästhetische Kriterien ein
Recht auf Geltung hätten. Diese sophistische
Verwirrung der Standpunkte hat unlängst
erst vor dem missrathenen Bilde unserer
geliebten Kaiserin ihr unschönes Wesen
getrieben. Das durchaus übel gelungene
Bild ward dienerisch gefeiert; meuch-
lings färbten die Superlative, die doch
im Grunde nur der theuren Frau ge-
golten, auf ihren Maler ab und gaben
ihm, was ihren Manen gebürte. So sehr
hat sich der Sinn für absolute Kunst-
empfindung ins Krämerhafte verschoben.
So enge haften sie am Stofflichen, dass
selbst die jungen Kunstwächter just eben
in jenem Augenblicke ins Wanken kom-
men, da es inmitten verwirrender Affecte,

verunreinigter Meinungen ihres Amtes
wäre, die schroffe Kluft zwischen Kunst
und Tugend aufs neue zu entschleiern.

Das chronische Schauspiel hat keinen
Achtungserfolg errungen, als man da
neulich das Albrechtsdenkmal enthüllte. Es
ist ein Specificum unserer Stadt, dass
sich hier Denkmäler und ihre Standplätze
gegenseitig verpfuschen und in der Feind-
lichkeit ihres wahllosen Aufeinanderpralls
burlesk und disharmonisch verquicken. So
wird fast allenthalben, wo in den letzten
Lustren ein Sockel aus dem Pflaster ge-
wachsen, eine Anklage wider den Ge-
schmack verewigt. Papa Radetzky — um
nur dies Eine zu nennen — schläft mit
der Wurschtigkeit eines taubstummen
Pfründners inmitten einer Legion spinat-
grüner Kräutlerinnen. Mozart tanzt sein
Menuet zwischen aschgrauen Zinskasernen,
Grosskrämern und Biertrödlern. Und
dieser selbe Mozart, der eines der tiefsten
Probleme menschlicher Culturentwicklung,
die Vermählung des Faust mit der
Helena, die Verbindung germanischen
Geistes mit hellenischer Form genialer als
Goethe gelöst und wienerisch im höchsten
Sinne scheinen darf, Mozart, der in Tilgners
heiterer Seele die lieblichsten Saiten ge-
weckt und in seiner Hand die anmuthigsten
Formen gefunden, Mozart, das Wahr-
zeichen unserer Stadt, der Erzieher in
diesen Tagen der Verbildung, wird uns
urplötzlich durch den brutal hereinreitenden
Bronzekoloss, den Gouverneur, erdrückt
und seiner seraphischen Stimme beraubt,
die bislang den ganzen Augustinerplatz
mit Harfen- und Cymbelschlag erfüllt hat!
Ὤ, τὸν Ἄδωνιν

Die Statue des Gouverneurs, die uns
der Pfingstsonntag geschenkt, ist lediglich
ein — Werk der bildenden Kunst. Von
originaler Schöpferkraft verspürst du kaum
einen Hauch an ihrer Seite. Die Vögelein
schweigen in ihrer Nähe. Über ihren
Wipfeln ist Ruh. Die Reiterstandbilder,
die sich vor dem controlierenden Blick

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 14, S. 340, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-14_n0340.html)