Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 15, S. 349
Text
Von ALGERNON CHARLES SWINBURNE.
Entschlummert zwischen Mitternacht und Graun
Sah ich sich neigen über meinen Pfühl
Blass wie die zartste Lilie und so kühl
Und traumhaft die geliebteste der Fraun.
Erschrocken, aber selig, sie zu schaun
In meinem wirren bangen Traumgewühl,
Langt’ ich nach ihr mit zitterndem Gefühl
Und langsam sah ich ihre Lippen thaun.
Und Honig meinem Mund war ihr Gesicht,
Die langen, schlanken Arme, ihre Brust
Und Lenden meinen Augen Trunkenheit.
Und Worte sprach sie — ich verstand sie nicht
Nur eines klang wie liebebange Lust
Von ihren offnen Lippen — Seligkeit.
Deutsch von Hedwig Lachmann, Berlin.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 15, S. 349, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-15_n0349.html)