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lieber Bruder. Bis ich wagte, zu ihr auf-
zusehen. Und sie lächelte.
Beatrice lächelte.
Ich schreibe nichts mehr heute — —
Es wurde plötzlich ein grosses Rufen
— und Thüren wurden geschlagen — und
es trat mit vielen Füssen — und die Thür
zu unserm Zimmer wurde aufgemacht.
Und da stand mein Bruder, und die Alte
war an seiner Seite, seine Hand in ihrer
und ihre Hand auf seiner Schulter — und
sie rief: »Seht — seht!«
Ich breitete meine Arme aus, und
meine Schwester glitt heran zu ihm mit
sanften Rufen. Aber seine Arme, die nach
uns erhoben waren, senkten sich, und er
sah uns nicht — denn seine Blicke standen
leuchtend über Beatrice.
Des Himmels hellrosa Wolken zogen
über ihre Wangen — ihre Augen flammten
auf und verbargen sich, und sie war nicht
mehr weisser als die Blätter in meinem
Buch — und ich sah sie die Hand zum
Herzen führen — als wollte sie ihre Seele
zurückhalten.
Mein Bruder lächelte und verbeugte
sich vor ihr, ohne sich zur Erde zu neigen,
und erfasste ihre Hand — und seine Blicke
tanzten über sie — und nur ich hörte,
dass sie rasch athmete.
Dann umarmte Gregorius uns — aber
mein Herz war kalt wie der Tod. Wir
setzten uns alle nieder — Gregorius aber
gieng hin und her auf dem Fussboden und
redete. Er blinkte von vielem Gold und
trug ein Schwert an der Seite und einen
goldenen Stern auf der Brust — und man
sah und hörte, dass er ein Held geworden
war — denn er war in fremdem Land
gewesen und hatte die Furchtsamen be-
zwungen.
Beatrices Augen folgten ihm, und
ihre Ohren tranken seine Worte, und sie
vergass ihren einzigen lieben Bruder. Seine
Rede tönte stark wie eine klingende Schelle
— ich hielt beide Hände vor meine Ohren
und rief: »O, mein Bruder, läute nicht
so mit Deinen eigenen Thaten!« Da
erhob die Alte drohend ihren Marmor-
finger und sagte: »Still, Johannes, — und
höre Deinem Bruder zu!!«
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Gregorius wurde nicht zornig — aber
er schlug mich leicht ins Gesicht mit dem
Handschuh und sagte: »Halt’ Dir ruhig
die Ohren zu, Brüderchen, für Dich spreche
ich nicht.« Ich erröthete — ich weiss
nicht, warum ich erröthete.
Wir wollten zu Tische gehen und
Gregorius trat vor und wollte Beatrice an
seiner Seite haben. Ich erfasste ihre Hand
und sagte: »Nein, Gregorius, ich bin
Beatrices einziger, lieber Bruder.«
Gregorius lächelte und antwortete:
»Dann bin ja auch ich ihr Bruder —
sieh — Deine beste Freundin Mary steht
allein und verlassen.«
Und Beatrice wandte ihren Blick von
mir.
Da liess ich ihre Hand los und die
Alte gieng voran hinaus und mein
Bruder folgte ihr mit Beatrice. Mary
erfasste meine Hand — aber ich stand
gelähmt, wie mit Eisen an den Boden
genagelt. Die Alte sprach laut und be-
fehlend und Gregorius’ Stimme läutete.
Da lachte Beatrice — ich schauerte —
denn das war nicht Beatrices Lachen.
Es war hart und leicht.
Gregorius ist es, der sie dazu bringt,
so zu lachen — sagte ich. Etwas in
mir wuchs und wuchs — ich wollte es
bezwingen — aber es bekam Macht über
mich. Da fiel mein Blick auf das dicke
Buch mit dem rothen Schnitt und ich
rief: Fluch über Kain, der das Herz
seines Bruders sucht! Und ich ergriff
das Buch und warf es in die Flammen
und rief laut.
Die Alte kam herein und sagte mit
Macht: »Johannes, so etwas straft Gott!!«
Und ich fiel nieder und sagte: »So mag
Dein Gott mich strafen!!« Mary aber
führte die Alte hinaus, schloss Thüren,
kam und setzte sich auf den Fussboden
zu mir, legte meinen Kopf in ihren
Schoss und sprach wie ein säuselnder
Herbstbaum. Sie erzählte Geschichten
von der Zeit, da mein Bruder ins Haus
gekommen war und in weissen Hüllen
in seiner Wiege lag und uns ansah mit
unschuldigen Blicken; sie erzählte davon,
wie ich sie beide gerettet vor dem wilden
Thier und ihr Leben vertheidigt habe —
wie ich Gregorius getragen durch Wald
und Feld und Sumpf und reissende
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