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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 17, S. 397

Text

MAETERLINCK: BLAUBART UND ARIANE.

Erd-Innern ein erstickter, äusserst ferner, kaum vernehmlicher Klagegesang. Ariane
zittert, hält mitten in einer dankbaren Geberde wie erstarrt inne, senkt das Haupt
und horcht.)

BLAUBART
(schrickt anfangs zusammen und stampft dann zornig mit dem Fuss auf den Boden,
dann tritt er auf Ariane zu und sagt ihr mit schallender Stimme, wie um den
unterirdischen Gesang zu überschreien):

Ihr seid schön, Ariane! Setzt auch noch dieses Smaragddiadem auf
und hier

ARIANE
(gebieterisch):

Schweigt!

GESANG
(kaum hörbar):

Die fünf Mädchen von Orlamünde,
Als die Fee war todt,
Die fünf Mädchen von Orlamünde
Suchten nach der Thür in Noth.

(Der Gesang verstummt. Schweigen.)

ARIANE:

Was war das?

BLAUBART:

Ich weiss nicht Es war unten, draussen, im Felde Vielleicht
ein vorüberziehender Schäfer, oder die Weiber aus dem Dorfe, die im Schloss-
hof Wasser schöpfen Sie kommen immer gegen Abend, wenn der Mond
scheint, und

ARIANE
(traurig):

Ich weiss, was es war (Sie legt Schleier und Geschmeide wieder ab und
thut sie in die Lade zurück.) Geh zurück in dein Gefängnis, schöner, schimmern-
der Schleier, den ich befreien wollte, und ihr leuchtende Geschmeide und Perlen,
die ihr zum Licht erwachtet; auch ihr Diamanten und Amethysten, die ihr
Sonne und offene Thüren liebt, — zurück in eure Finsternis! Solange andere
gefangen sind, hat eure Stunde noch nicht geschlagen, aber sie wird viel-
leicht bald schlagen (Sie nähert sich Blaubart und umschlingt ihn furchtsam
mit einschmeichelnder Geberde.) Verzeiht Ihr nicht? Fühlt Ihr keine Reue? Es
waren fünf, sagt man, die Euch geliebt hätten, wenn Ihr nur gewollt hättet;
und mehr als Eine muss sehr schön gewesen sein, und mehr als Eine ist es
noch, des bin ich sicher, trotz diesem Dunkel, in das Ihr sie versenkt
Worauf wartet Ihr? Was haben sie Euch gethan? Ich weiss nicht, was sie
gelitten haben, aber ich weiss wohl, dass sie hier gefangen sind

BLAUBART
(sucht sich ihrer Umarmung zu entwinden und stösst sie wüthend von sich):

Was wollt Ihr damit sagen?

ARIANE
(hält ihn noch fester umschlungen):

Nein, nein, versucht meinen Armen nicht zu entkommen; Ihr seht ja, ich
weiss alles Ich bin gekommen, weil ich alles wusste, und als ich Euch

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 17, S. 397, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-17_n0397.html)