Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 17, S. 398

Text

MAETERLINCK: BLAUBART UND ARIANE.

sah, habe ich nicht gezittert In meinem Herzen hab’ ich es gefühlt, dass
Ihr nicht erbarmungslos sein werdet Als ich fortgieng, weinte alles
Meine Brüder wollten mich begleiten, ich habe es nicht gelitten Allein bin
ich gekommen und ohne Waffen Seid Ihr nicht unglücklich? Ich
weiss nicht, ob Ihr mich liebt?

BLAUBART
(mit erstickter Stimme):

Ja

ARIANE:

Seht, ich schaue Euch in die Augen Ich suche nicht zu fliehen
Ich klammre meine Arme um Euren Hals Vielleicht wisst Ihr nicht, wie
süss unsre Arme sind, wenn sie nicht zittern, und was alles in unsren Augen
liegt, wenn sie nicht voller Schrecken und Thränen sind

BLAUBART
(reisst sie plötzlich wild an sich):

Euren Mund!

ARIANE:

Noch nicht. (Sie beugt den Kopf etwas zurück und blickt ihn fest an.) Was
habt Ihr? Eure Blicke sind roth, Eure Lippen sind furchtbar, und Eure Hände
Aber seht doch nur Eure Hände, sie verletzen mich bis aufs Blut Was
habt Ihr? (Sie stösst einen Schmerzensschrei aus.) Oh!

BLAUBART:

Werdet Ihr still sein!

ARIANE:

Was wollt Ihr? Ich kann nicht mehr Ihr hattet mir versprochen
Legt mir doch nicht Eure beiden Hände auf den Mund Ich ersticke ja
Lasst mich Oh!

(Blaubart macht eine noch wildere Bewegung; sie stösst einen durchdringenden
Schmerzensschrei aus. Von draussen antwortet ein anderer Schrei; dann, während
das Ringen fortdauert, erhebt sich ein dumpfes Getöse und schliesslich ein gellendes
Geschrei. Plötzlich fliegt ein Stein durch das eine Fenster in den Saal, andre folgen,
und im Nu sind sämmtliche Fenster zerschmettert. Drohende Gesichter erscheinen
in den leeren Öffnungen, und mächtige Schläge dröhnen an die Thür im Hinter-
grunde. Blaubart ist ausser sich; er stürzt ans Fenster und droht mit dem Tode,
während Ariane nach der Thür geht und sie langsam öffnet. Auf der Schwelle
winkt sie der bestürzten Menge, sich zu beruhigen.)

ARIANE:

Meine Lieben Was wollt Ihr? Ihr seht, er hat mir kein Leides
gethan (Schweigen. Sie schliesst die Thüre wieder.)


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 17, S. 398, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-17_n0398.html)