Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 17, S. 399
»Blaubart und Ariane« (Maeterlinck, Maurice)
Text
Langer unterirdischer Gang. Im Vordergrunde, fast unmittelbar am Rande der Bühne,
ein mächtiger, finstrer Gewölbebogen, darin eine schwere Flügelthür, die den ganzen
Hintergrund einnimmt. ARIANE und die AMME kommen von links die letzten Stufen
einer steinernen Treppe herunter; Ariane mit einem Schlüssel, die Amme mit einer
Lampe in der Hand.
DIE AMME
(verstört und ausser Athem. Sie versucht, Ariane am Zipfel ihres Mantels zurück-
zuhalten):
Warte doch Ich habe gehört
ARIANE:
Komm’ herunter
DIE AMME:
Geh’ heute nicht hinein, die Lampe wird ausgehen Man sieht schon
nichts mehr
ARIANE:
Dies ist schon die letzte Thür
DIE AMME:
Nicht doch, man hört ja nichts. Es ist hier nicht, hörst Du was? Ich spitze
die Ohren vergebens Hörst Du was?
ARIANE:
Halte doch die Lampe etwas höher Ah! Hier ist das Schloss
Der grosse Schlüssel passt hinein
DIE AMME:
Komm’, Ariane, komm’ Ich mag nicht weiter Es ist noch immer
Zeit (Sie ergreift Ariane am Arme und will sie von der Thür fortziehen.)
ARIANE:
Lass’ mich doch. Warum kommst Du denn mit, um mich zu entmuthigen?
So hilft man denen nicht, die man liebt Geh’ fort und gib mir Deine
Lampe, ich werde allein hineingehen
DIE AMME:
Nein, nein, ich will ja auf Dich warten Ich will mit Dir hineingehen
Nur geh’ nicht zu schnell öffne nicht gleich Ich wage die Augen nicht
aufzumachen
ARIANE
(die Hand auf dem Schlüssel):
Oh, wie leicht der Schlüssel sich dreht. Die grosse Thür geht auf
(In der That theilt sich die grosse Thür bei der ersten Umdrehung in der Mitte;
die beiden Flügel verschwinden geräuschlos rechts und links in die Einlassungen des
dicken Mauerwerkes.)
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 17, S. 399, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-17_n0399.html)