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So musste der Psycho-Physiologe als Dichter
uns die geheimen Lyrismen hergeben, die
er in der Menschenseele entdeckt hatte,
die sublimen Feinheiten der Innenan-
schauung, zu der er sich mit seinem un-
endlich differenzierten Spürsinn durchge-
tastet. Dies und noch mehreres, das eine
Weile unsere Entwicklung aufzuhalten und
in Specialismus zu ersticken schien, können
wir heute zu einem weiteren Gebrauche
vereinen; seitdem jene Gesundheit in
uns erblüht ist, die in unserem Blute das
frohe Lied von der Zuversicht singt, dass
alle Gegensätze unserer Zeit nur in Er-
scheinung traten, um einander zu über-
winden und sich zu einer höheren Einheit
zu steigern.
Das ist es: Erdgeruch verlangen wir
wieder von den belebten Büchern und bunten
Bildern, in denen sich unser einzelnes und
unser allgemeines Leben enthüllen soll. Es
braucht ja nicht gerade der Dampf der Scholle
zu sein, der aus ihnen aufsteigt. Im Gegen-
theil: Heimatskunst wird im allgemeinen
nur allzu enge und eingeschränkte Schick-
sale darstellen können. Aber der Hauch
des Weltgeistes soll uns entgegenschlagen:
wie er sich als Niederschlag der kos-
mischen Atmosphäre auf die irdische ge-
äussert hat und nun, untermischt mit den
Strömungen, die sich durch das Gestern
unserer Cultur zu ihrem Morgen ziehen,
als geheimes Fluidum um uns und um
die Stätten webt, an denen das Spiel
unseres Lebens sein Wesen hat.
Nur wenn wir solche Offenbarung
spüren, haben wir es mit Schöpfungen zu
thun, in denen die Gesammtseele der
Zeit Form angenommen hat und belebte
Einzelseele geworden ist — mit orga-
nischen Schöpfungen, die ein unmittel-
bares Product der Vergangenheit darstellen
und als spirituelles Phänomen zu ihrer
Gegenwart und deren Gesammtcultur, und
im weiteren zur Welt überhaupt, genetisch
gerade so nothwendig gehören, wie jede
einzelne, auch die materiellste Äusserung.
Wie wir die Schöpfung makrokos-
misch und mikrokosmisch zugleich empfin-
den, als grösstes aller Kunstwerke, gebildet
von der unendlichen Zahl unendlicher
Einzel-Meisterstücke, so wollen wir auch
unsere Bücher und Bilder sehen: Jedes
sei eine Totalitätsspiegelung des Alls im
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Kleinen, sei wie dieses eine Einheit von
Einheiten, ein Ganzes, beschlossen in dem
Geheimnis seiner Theile.
Wir sind müde geworden, zwischen
den Coulissen des äusseren und des
inneren Lebens, wie sie uns die Kunst
des Details in ihren verschiedenen Äusse-
rungen immer wieder dargeboten, hin und
her und her und hin zu wandeln.
Die Unlust an den endlosen Einzel-
heiten, Fällen und Beispielen, die sich
nach Belieben häufen liessen, der Ärger,
vor lauter Theilen das Ganze nicht mehr
zu sehen, waren schliesslich nicht mehr
zu tragen; umso weniger, als wir ja sehr
wohl wussten oder doch fühlten, dass
eine so strenge Schule allerdings noth-
wendig war, aber doch zugleich nur eine
Vorbereiterin grösserer Kunstbethätigung
sein konnte. Unsere Sinne hatten die feste
Beziehung zur Wirklichkeit verloren: Des-
halb mussten sie wiedergeboren werden,
mussten sich erneuen und verjüngen
lassen. Erst wenn die organische Verbin-
dung mit der Natur wieder hergestellt
war, wenn Mensch und Schöpfung in
einem individuellen Sinne wieder eins
und, wie Kind und Mutter, vertraut mit
einander geworden waren, konnten erd-
geborene Werke erwachsen, in denen die
gegenständliche Wirklichkeit in einem
zweiten höheren Sein gesehen und be-
griffen war.
Heute ist die Zeit solcher Erziehung
zum Detail vorüber. Und gleichzeitig ist
denn auch das Verlangen nach jener
anderen Kunst, als der der forschenden
Aufzählung, in uns wach geworden. Nicht
einzeln bewertet möchten wir die Dinge,
sondern über- und untergeordnet, ein-
geordnet, geschlossen, in ihren Zusammen-
hängen.
Unsere Sehnsucht wünscht, dass
die Kunst wieder — wie früher —
eine weite Bühne sei. Lebens-
geschick und Weltgeschick ihr mäch-
tiger Hintergrund, vor dem die
ringenden Mächte des Daseins dahin-
ziehen gleich grossen Gespenstern,
die Mensch geworden! Der Kampf,
den die Menschheit von Urbeginn bis
auf unsere Tage um das kämpft,
was sie jeweilig ihre Güter nennt,
rolle sich breit vor uns auf: ge-
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