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Über der persönlichen aber gibt es
noch eine persönlichste und intimste
Scham, die selbst vom Geliebten und
Ehegatten geschont sein will. Es ist Das-
jenige, das jede Frau als ihr eigenstes
Geschlechtsgeheimnis geachtet wissen will.
Es kann ein bestimmtes Gefühl, es kann
aber auch ein Toilettengeheimnis sein.
Hier die Grenzen zu kennen und zu achten,
ist die feinste Diplomatie der Liebe und
die sicherste Taktik des Umganges nöthig.
Hier gilt es, zuweilen selbst bei der
Schamlosen, noch etwas zu schonen. Dies
Allerpersönlichste kann aus den verschie-
densten Sphären des Menschen stammen.
Ob eine Narrethei, ob eine Furcht, eine
Eigenart, es deutet fast immer auf das
specifisch körperliche oder seelische Problem
des einzelnen Weibes hin; dahin, wo ihr
Persönliches sterblich ist. Die Trachten-
geschichte namentlich ist für die Ent-
wicklung und Eigenthümlichkeit des weib-
lichen Schamgefühles naturgemäss sehr
lehrreich. Nur dass diese Eigenthümlich-
keit noch heute ihre Fortsetzung bei der
einzelnen Frau finden kann.
Manche Frau verliert mit dem allge-
meinen das persönliche Schamgefühl,
manche hingegen gewinnt es erst; die
meisten freilich verlieren mit dem persön-
lichen das allgemeine. Dies gilt auch in
ihrer Art von der Ehre. Man kann sehr
leichtsinnig in der Behandlung der Standes-
ehre und sehr reizbar und streng in der
persönlichen sein, und ebenso umgekehrt.
Nur dass die Frauen in dieser Unter-
scheidung und Entwicklung wenigstens
zum Theil weiter zu sein scheinen als
wir mit unserem Ehrgefühl. Ein Mann,
der seine Standesehre verliert, hat kaum
noch eine persönliche. Die Differenzierungen
sind bei der Frau heute mannigfaltiger
und feiner und vor allen Dingen erkenn-
barer geworden, was sie offenbar der
modernen Kunst und Literatur zu ver-
danken hat, die sich fortgesetzt und ein-
dringlich mit diesem ihrem Grundproblem
beschäftigen. Vom erotischen Cynismus
in der modernen Literatur profitiert gerade
die anständige Frau für die Entwicklung
ihres sexuellen Lebens am meisten. Es
ist nicht zufällig, dass Naturalismus und
Frauenemancipation geschwisterlich in die
Erscheinung traten; es sind Zwillinge.
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In derselben Weise die Mannesehre
zu erkennen und zu entwickeln, ist Kunst
und Theorie der Pädagogik. Man ver-
gleiche, wie viele Werke das Liebesleben
des Weibes und wie wenige die Erziehung
des Mannes zum Gegenstande haben.
Ohne grosse Kunstoffenbarungen aber
bleiben die Gelehrten führerlos, tappen
im Finstern und treiben meist Albern-
heiten. In Bezug auf die Mannesehre und
Erziehung sind die Theoretiker gewisser-
massen noch Scholastiker; denn die An-
schauung von den Dingen ist ihnen noch
nicht durch die Kunst vermittelt, wie
Denen, die sich mit Frauenproblemen
befassen. Beweis: die fast brutale Dumm-
heit in der Psychologie unserer Crimina-
listen. Zu einer Psychologie der Strafe
fehlen sogar noch die Voraussetzungen.
Selbst erfahrene und liebevolle Lehrer
oder Erzieher wissen von dieser Psycho-
logie noch rein gar nichts. Sie verbannen
den Stock und sind doch rohe Tölpel,
die zahllose Verbrechen und Entartungen
auf dem Gewissen haben. Dasselbe Kind,
dem eine tüchtige Portion Prügel, selbst
rohe Züchtigung nichts thut, kann durch
ein einziges Wort scham- oder
ehrlos oder beides gemacht werden.
Frauen aber sind in der Erziehung fast
noch roher, jedenfalls aber dümmer als
die Männer. Man muss als Frau, um eine
tüchtige Erzieherin zu sein, die guten
Instincte und die Liebe der Mutter und
zugleich den sicheren Verstand und die
bildende Kraft des Mannes haben und
von feinstem, doppelt-geschlechtigem
Taktgefühl sein. Die gewöhnlichen Er-
zieherinnen aber, unverheiratet und vom
Leben in ihren wichtigsten Ansprüchen
betrogen, geben das schlechteste Erzieher-
material, das zur Verwendung kommen
kann. Gerade die unversorgten und instinct-
verbildeten Mädchen zur Erziehung zu
benützen, ist ein geradezu frivoler und
verhängnisvoller Verlegenheitswitz der
Gesellschaft, wie die ganze Behandlung
der modernen Frauenfrage. Zahlreichen
Frauen das Recht auf die Mutterschaft ver-
sagen und sie zum Ersatz in einen mütter-
lichen Beruf einstellen, ist ein Widerspruch
in sich und eine Grausamkeit gegen die
Erzieherinnen und die zu Erziehenden zu-
gleich. Nämlich, von diesen Mädchen ver-
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