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Lyriker kennen gelernt haben; doch liebt er
mehr die Schilderung als die Erzählung.
Seine Novelle »Vonir« (Hoffnungen) spielt in
einer isländischen Colonie in Canada. Echte,
aber fast durchwegs düstere Bilder aus
dem Leben zeichnet, zumeist nach histo-
rischen Quellen und in einem älteren Stil
und Ton, Probst Jónas Jónasson, durch
den die isländische Novellistik wohl noch
um manchen wertvollen Beitrag bereichert
werden dürfte. Ein starkes novellistisches
Talent steckt endlich auch in dem Bauern
Jón Stefánsson, der unter dem Pseudo-
nym »Thorgils gjallandi« schreibt.
Von den übrigen Dichtungsarten hat
nur das Drama in neuerer Zeit einige
Pflege gefunden. Die Darbietungen dieses
Kunstzweiges sind noch unreif, wie ja
auch die darstellende Schauspielkunst auf
Island noch auf einer sehr primitiven
Stufe steht. Erst in der allerjüngsten Zeit
ist in Reykjavik ein festes Theaterlocal
zustande gebracht worden. Von Dichtern,
die sich nicht ohne Erfolg als Dramatiker
versucht haben, seien Mathias Jochumsson
(»Draussenlieger«, »Bischof Jón Arasson«)
und Indridi Einarsson (»Die Neujahrs-
nacht«, »Schwert und Krummstab«) ge-
nannt.
Von einem anderen Kunstbetriebe als
dem der Poesie ist auf Island wenig zu
bemerken. Die Baukunst blieb im all-
gemeinen auf derselben Stufe — der Erd-
hütten — stehen, die sie in der alten Zeit
eingenommen, ja in Bezug auf architek-
tonische Ausschmückung ist sie sogar
zurückgegangen. Blockbauten waren und
sind noch immer wegen des Mangels an
Material sehr selten. Doch sind jetzt die
meisten Kirchen, sowie die Gebäude der
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Kaufstädte und einiger Höfe aus Holz,
nur wenige Kirchen und öffentliche Ge-
bäude, hie und da auch ein Privathaus
aus Stein erbaut, ohne einen besonderen
Kunststil aufzuweisen. Ein ausgeprägterer
Kunstsinn offenbart sich in der alten
isländischen Ornamentik mit ihren ur-
germanischen Motiven. Typische Proben
derselben findet man indessen fast nur mehr
in den Museen zu Reykjavik, Kopenhagen
(hier eine Kirchenthür aus dem Anfang
des XIII. Jahrhunderts mit einem geradezu
genialen Drachenornament) und Stockholm.
Solche Ornamente wurden auch gern an
Hausgeräthen angebracht, z. B. an einem
eigenartig geformten Holzstücke, womit
die Wäsche gerollt wird, an Schreinen,
Schachteln, Bettleisten, Trinkgefässen und
dergleichen. Diese Vorliebe für ornamen-
tale Verzierung kommt auch noch heute
in der Kleinkunst der Isländer überall
zum Ausdrucke, so in geschnitzten Horn-
löffeln, in Filigranarbeiten, in Gold- und
Silberstickereien u. dgl. — Die Bildnerei
ist den Isländern fremd geblieben; doch
können sie immerhin Thorwaldsen für
sich als halben Landsmann in Anspruch
nehmen. Kaum Bemerkenswertes haben
sie in der Malerei geleistet, z. B. im
Porträt. — Die Musik wird erst in der
neuesten Zeit als Kunst geübt, und es
zeigt sich, dass die Isländer keineswegs
so unmusikalisch sind, als man bisher
immer angenommen hat — auf Grund
der alten nationalen Weisen, besonders
aber des sogenannten Zwiegesanges, der
für musikalische Ohren wie »Indianer-
geheul« klingt. Sie haben jetzt auch ihre
Kunstcomponisten, von denen Sveinbjörn
Sveinbjörnsson, der jedoch in Edinburgh
lebt, sogar ganz bedeutender Schöpfungen
sich rühmen darf.
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