Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 20, S. 468
Text
Nein, nicht wie sie — wie ihrer Buhler Schar
Der Vorzeit, deren Los Verdammnis war,
Die plötzlich, eingewiegt von ihrem Kuss,
Die Nattern zischen hörten durch ihr Haar.
Sie düngt mit Blut das Wurzelwerk der Zeit
In jenem Hain, der ihrem Dienst geweiht,
Und erntet tausendfältigen Genuss
Aus tausendfältger Qual und Bitterkeit.
Sie trägt um Hals und Haar in Scharlachglut
Rubinenschnüre aus krystallnem Blut
Und stampft die Kelter ohne Unterlass,
Durch die das Leben fliesst als ihr Tribut.
Ihr Thorweg dampft von Weihrauch und Geschwel
Der Seufzer und Begierden geil und fehl.
Ihr Vorhof widerhallt vom Übermaass
Der Schwüre, die einander gram und scheel.
Um ihre Lagerstätten klingt Geschwirr
Von Weinen und Gelächter wild und wirr,
Zu ihren Füssen windet sich im Krampf
Die Liebe ohne Lohn, verstört und irr.
Der Held Adonis fiel durch ihre Hand;
Mit einem Strang aus Blut und Sehnen band
Sie ihn an Leib und Seele, bis im Kampf
Sie Nerv um Nerv den Starken überwand.
Ja, alle schlägt sie in der Manneskraft.
Nur mich, mit tausendfachem Fluch gestraft,
Mich Satten, nicht zu Sättigenden löst
Nicht Zeit, nicht Ewigkeit aus ihrer Haft.
O, Deine Schönheit! Bitter meinem Mund
Ist ihr Geschmack. Mein Herz ist siech und wund,
Als wäre jeder Nerv daran entblösst
Und aufgewühlt, wie Wasser, bis zum Grund.
(Des Gedichtes zweiter Theil folgt.)
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 20, S. 468, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-20_n0468.html)