Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 20, S. 477

Eleonora Aubrey Beardsley (Poe, Edgar AllanKlein, Rudolf)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 20, S. 477

Text

KLEIN: AUBREY BEARDSLEY.

Da! einmal wieder, im Schweigen
der Nacht, kamen die leisen Seufzer, die
ich so lange nicht mehr vernommen, mit
dem Winde durch mein Fenster und
klangen zusammen zu einer vertrauten,
süssen Stimme, die also sprach:

»Schlafe in Frieden! Der Geist der
Liebe herrscht! Und wenn Du Ermengard
an Dein wildes Herz drückst, bist Du aus
Gründen, die Dir im Himmel offenbar
werden sollen, von Deinem Gelübde an
Eleonora entbunden «*

*Verdeutscht von Hedda Moeller-Bruck.

AUBREY BEARDSLEY.
Von RUDOLF KLEIN (Berlin).

Dass wir England in allen Kunst-
epochen des neunzehnten Jahrhunderts als
bahnbrechend zu betrachten haben, ist
eine längst als unumstösslich anerkannte
Thatsache, so sehr auch schlecht Unter-
richtete diesbezüglich Frankreich den Vor-
rang geben möchten, da hier der Natura-
lismus, der die Gemüther am längsten
beunruhigte, auch am längsten währte,
während in England die Werke dieser
Kunstrichtung längst schon zum festen
Bestand der Museen gehörten, ihre Schöpfer
meist schon todt waren, und über den
Canal die Werke der Neu-Idealisten und
Decorativen kamen. Dass beispielsweise
England in Constable den ersten
»naturalistischen« Landschafter ge-
habt, der — 1776 geboren — schon
1837 starb, ist bisher noch lange nicht
genug bekannt, was darin seinen Grund
haben mag, dass nur der Besucher des
Kensington-Museums sich einen vollen
Begriff seiner Bedeutung machen kann,
wie man ja auch den Wert und die Art
des ersten Impressionisten, den
England in Turner hervorgebracht, nur
in seinem Sondersaal der National-Gallery
schätzen zu lernen vermag, während sonst
die Werke bahnbrechender Künstler über
alle Museen des Continents verstreut
sind. Nach diesen hervorragenden Kunst-
pionnieren, die der Ausgangspunkt der
grossen französischen Bewegungen waren,
blieb England, abgesehen von Madox
Brown und einigen wenigen Schilderern
des täglichen Lebens, nicht lange beim
Naturalismus, sondern flüchtete bald in
das Reich der Träume, die Bahnen seines

grossen Ahnen William Blake wandelnd,
die Formen den frühen Florentinern ent-
lehnend. Aber dieses ausserordentlich ver-
feinerte Seelenleben, das in Rossettis
und Burne-Jones’ Werken so krank-
haft heftig glüht, war eines Tages ver-
braucht, und die Epigonen dieser Propheten
handhabten nichts denn die leere Form,
aus welchem Unvermögen die neue Schule
der rein decorativ-gewerblichen Künstler
mit Morris und Crane an der Spitze
hervorgieng.

Dieser Schule entstammen als Vertreter
der jüngsten Generation: Bradley und
Beardsley. Beardsley zählt zu den
hervorragendsten Künstlern unseres Jahr-
hunderts, seiner geradezu zauberhaften
technischen Vollendung und vor allem
auch seiner künstlerischen Psyche wegen,
deren eigentliches Wesen seltsamerweise
den meisten verschlossen geblieben, von
den Gegnern aber auf das heftigste an-
gefeindet wurde, weil es die Sünde in
ihrer subtilsten und zugleich intensivsten
Form repräsentiert. Aus dieser letzten
Phase der englischen Kunst, der Schule
der rein decorativ-gewerblichen Künstler,
giengen, sagte ich, zwei junge Meister
hervor, und dies ist charakteristisch für
das Wesen des Einen, dessen Name über
dieser kurzen Studie steht. Bradley und
Beardsley arbeiteten zusammen, hatten
dieselben Ziele, handhabten eine Technik
des Zeichnens, die sich gleicht, wie ihre
Namen ähnlich klingen — und dennoch
haben diese Beiden absolut nichts mit-
einander gemein. Dem oberflächlichen
Auge mag ihre Kunst allerdings recht

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 20, S. 477, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-20_n0477.html)