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wesensverwandt scheinen, da sie bei Beiden
aus nichts anderem zu bestehen scheint,
als aus wunderbar rhythmischen Linien-
ornamenten, und äusserlich an die Art der
Japaner anklingt. Das aber ist das Un-
gewöhnliche: während diese Linien bei
Bradley kalt, todt, seelenlos sind und nur
decorativ sein wollen, hat Beardsley,
dieser Jüngling, der — im Herbst 1897 —
als Fünfundzwanzigjähriger an der Schwind-
sucht starb, sie heimlich gefüllt mit seiner
krankhaft verfeinerten Seele, sie heimlich
gefüllt mit dem Gift der Sünde.
Das Technische einer Kunstrichtung
geht, wofern diese nicht von Epigonen
gehandhabt wird, stets mit dem Inhalt
des Künstlers, der Zeitströmung, dem
Zeitgeist Hand in Hand. Daher steht
der erste experimentierende Naturalist in
England, Constable, neben Darwin,
dem Forscher; in Frankreich sehen wir
neben Courbet und Zola den materia-
listischen Denker Taine; in England
wieder Rossetti und Burne-Jones
neben den Spiritualisten Blavatsky und
Besant. Den herrschenden Zeitgedanken
stand stets eine äquivalente Kunst- und
Literaturrichtung gegenüber, die durch
sie bedingt wurde und mit ihnen sich zu
verschmelzen suchte. Andererseits hat die
subjective, individualistische Richtung, die
in der Kunst das l’art pour l’art, in der
Philosophie die culture du moi und die
Entfesselung und Befriedigung aller Triebe
predigte, vor allem eine Neigung in den
Vordergrund gerückt, deren Verkörperung
in der Kunst eben Beardsley ist: es
ist die Neigung zum Verbrechen, zum
Laster, zur Sünde — als die nothwendige
und äusserste Consequenz des Indivi-
dualismus, des Individualismus der Un-
oder der Übercultur, woraus sich dem-
entsprechend das Laster der Strasse oder
das Laster des Palastes ableiten lässt.
Diese beiden Arten des Lasters haben in
der Kunst des letzten Jahrzehnts stark
im Vordergrund gestanden, vor allem in
Frankreich, während in England fast nur
das Laster der Übercultur künstlerisch
dargestellt worden, und wohl nur von
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einem einzigen Künstler, dafür aber auch
in einer geradezu einzig dastehenden Art.
In Frankreich war das Gebiet nicht
neu. Der Erotiker Rops, Freund und
Schüler der Diaboliker d’Aurévilly
und Baudelaire, hatte schon lange die
Lüste und Verirrungen des Fleisches ge-
schildert, aber in einer Weise, die noch
gesunde Lebenslust voraussetzte. Daher
ist ihm das Weib noch ein Symbol des
Fleisches, der Körper mit den unwider-
stehlichen Brüsten und Hüften ein Tempel
der Lust. Daher erscheint uns sein Weib
in herrlicher Gliederpracht, stets nackt,
eine moderne Kybele. Anders ist es mit
den Seelenregungen, die hier zur Erklärung
Beardsleys erwähnt werden müssen und
die in seiner Kunst die subtilste Blüte mit
einem Duft von geradezu giftiger Inten-
sität getrieben. Diese Seelenregungen mit
ihrem Drang zu Verbrechen, Laster und
Sünde sind — im Gegensatz zum alten
Satanismus des Rops — die des modernen
Satanismus, der — den fleischlichen Lüsten
enthoben — auf den Nerven beruht. Aus
diesem Wesen des modernen Satanismus ent-
springt auch nothwendig das Merkwürdige,
dass der Künstler zu seiner Darstellung
nicht mehr des Nackten bedarf und über-
haupt so discret zu gestalten vermag, dass
dem Auge eines Unwürdigen und selbst
seinen Ahnungen alles Eigentliche ent-
gehen muss. So kommt es, dass der Kunst
Beardsleys die entwürdigenden Blicke
stumpfer Lüstlinge erspart bleiben, die
Rops über sich ergehen lassen musste.
In Frankreich finden wir bei Degas und
Lautrec die ersten Spuren dieses modernen
Satanismus, dessen Ursache und Ziel der
»Ekel« ist. In der Person der Guilbert
aber tritt er vor uns hin als die genialste
Verkörperung der Lust am verbrecherischen
Laster der Strasse, während Beardsley
die äusserste Verkörperung des Begriffs
»Sünde« gibt.
Inhalt und Technik decken sich eben
stets. Das Wesen der raffiniertesten Sünde
der Übercultur vermochte Beardsley — und
es ist wohl kaum anders möglich — in
eine einzige Linie zu fassen.* Er war
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