Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 20, S. 482

Du Prels Spiritismus und dieTheosophie (Hartmann, Franz)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 20, S. 482

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HARTMANN: DU PRELS SPIRITISMUS UND DIE THEOSOPHIE.

bar ist und ihre besten Eigenschaften ent-
halten sind und sie doch als eine von der
Pflanze verschiedene Erscheinung sich dar-
stellt, so nimmt auch die himmlische Seele
aus dem Leben des persönlichen Menschen
nur Dasjenige in sich auf, was ihrer himm-
lischen Natur angemessen und würdig ist.

Man sollte nun glauben, dass es eine
selbstverständliche Sache ist, einzusehen,
dass die himmlische, in ihren idealen Vor-
stellungen selige Seele nicht mehr an dem
Traumleben dieser irdischen Welt theil-
nehmen kann und sich sicherlich nicht
mit Tischrückern und Geisterklopfern be-
fassen wird. Dieser Anschauung aber
widersprechen eine Menge von Thatsachen
auf dem Gebiete des Spiritismus, worunter
vor allem die sogenannten »Identificie-
rungen« der sich mittheilenden »Geister«
gehören, Täuschungen, denen jeder leicht
verfällt, der sich mit spiritistischen Expe-
rimenten befasst, ohne die psychischen und
geistigen Elemente in der Zusammen-
setzung der Natur des Menschen und deren
Gesetze zu kennen; denn Dasjenige, was
von vielen gläubigen Spiritisten für das
»transcendentale Ich« eines Verstorbenen
gehalten wird, ist in den meisten Fällen,
wenn es überhaupt mit dem Verstorbenen
etwas zu schaffen hat, nichts anderes als
gerade die psychischen Überbleibsel, welche
die Seele abgestreift hat, ehe sie in den
Zustand ihrer himmlischen Seligkeit sich
erhob. Es ist das Eidolon der Griechen,
der umbra oder das Schattenbild der
Römer, das Kama-rupa der Indier und der
»Elementarleib« der Occultisten. Diese zwei-
fache Menschennatur und ihre Bestimmung
wurde schon vor alten Zeiten gelehrt:

»Bis duo sunt hominis: manes, caro,
spiritus, umbra;
Quatuor ista loca bis duo suscipiunt.
Terra tegit carnem, tumulum circum-
volat umbra,
Orcus habet manes, spiritus astra
petit

In dem im orcus zurückgebliebenen
Schattenleib schlummern die niederen und
irdischen Instincte, Leidenschaften und
Erinnerungen des Verstorbenen. Dieser
»Astralleib« stellt eine Summe der niederen
Seelenkräfte dar, er ist gleichsam die
Larve, welche der sich zum Himmel er-
hebende Schmetterling auf der Astralebene

oder »Mittelregion« zurückgelassen hat.
Er befindet sich in einem bewusstlosen
oder traumhaften Zustande, aus welchem
er durch spiritistische Experimente auf
kurze Zeit aufgerüttelt werden kann, wo-
durch dann diese niederen Elemente wieder
in eine Art von Scheinleben versetzt
werden und mit Hilfe eines passenden
»Mediums« allerdings eine gewisse Iden-
titätsbestimmung stattfinden kann; nur
fehlt diesen Geistern in der Regel der
Geist, und wenn in ihren Mittheilungen
Geist zu finden ist, so stammt derselbe
aus ganz anderen Quellen, als aus der
Seele des Verstorbenen her.

Es ist unmöglich, in dieser kurzen
Skizze auf alle die Quellen einzugehen,
aus denen die Täuschungen des Spiritis-
mus entspringen. Dass alle spiritistischen
Phänomene auf Schwindel von Seite be-
trügerischer Medien beruhen, ist eine Be-
hauptung, die nur mehr von in dieser
Sache gänzlich unwissenden Leuten auf-
gestellt wird und keiner Besprechung wert
ist. Dass aber in der Erklärung dieser
Phänomene viel Selbsttäuschung infolge
der Nichterkenntnis der höheren Menschen-
natur stattfindet, ist ebenso gewiss. Der
Spiritismus ist eine Naturwissenschaft, die,
wie jede andere Wissenschaft, eines Stu-
diums der Naturgesetze bedarf. Der Yogi
oder Heilige sucht in seinem Bewusst-
sein Eins mit dem höchsten Geiste
zu werden, und erkennt von seinem
erhabenen Standpunkte die Gesetze des
Geistes in der Natur. Indem er zur
Vereinigung mit Gott gelangt, erkennt er
sich selbst als den Schöpfer und die Ur-
sache von allem, und sieht das ganze
Weltall und Geisterreich in sich selbst.
Der wissenschaftliche Forscher, in seiner
persönlichen Selbstheit eingeschlossen, blickt
hinaus in die Welt. Er sieht so weit, als
sein beschränkter Horizont ihm gestattet
und sucht auf dem Wege der Schluss-.
folgerung sich eine Meinung zu bilden, in
Bezug auf Dasjenige, was darüber hinaus-
liegt. Der Yogi kann nicht irren, weil
seine Erkenntnis auf eigener Erfahrung und
Anschauung beruht; der speculative Meta-
physiker hat viele Irrthümer zu überwinden,
aber am Ende kommen die beiden überein.

Carl du Prel war kein ausgebildeter
Yogi, wohl aber ein tiefempfindender und

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 20, S. 482, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-20_n0482.html)