Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 20, S. 483

Du Prels Spiritismus und dieTheosophie Die Schaubühne — ein Fest des Lebens (Hartmann, FranzFuchs, Georg)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 20, S. 483

Text

FUCHS: DIE SCHAUBÜHNE — EIN FEST DES LEBENS.

scharfsinniger Denker und Philosoph, der
ein aufrichtiges Bestreben hatte, die Wahr-
heit zu finden und den Muth besass, seine
Überzeugung auszusprechen. Ob es ihm
gelungen ist, vor seinem Tode noch auf
den Grund aller Dinge zu sehen, ist eine
Frage, die wir nicht beantworten können;
aber er hat den Spiritismus auf eine
höhere Stufe erhoben und der alltäglichen
Wissenschaft das Reich des Übersinnlichen

näher gebracht. Er hat der geistlosen
Lehre von »Kraft und Stoff« das »Be-
wusstsein« hinzugefügt. Dadurch hat er der
Materie den Geist (das Leben) gegeben
und dem stumpfsinnigen Materialismus
den Todesstoss in Deutschland beigebracht.
Er war in seiner Art ein Werkzeug der-
jenigen Kraft, welche den Fortschritt des
Menschengeistes leitet, und er hat seine
Aufgabe treulich erfüllt.
DIE SCHAUBÜHNE — EIN FEST DES LEBENS.
Von GEORG FUCHS (Darmstadt).

Ohne Umschweife gesprochen: Was
wollen die Menschen, wenn sie vor die
Schaubühne kommen? — Sie wollen nichts,
als sich erheitern, sich ergötzen, sich er-
bauen: sie wollen ein Fest. Diesen An-
spruch muss die Kunst erfüllen, wenn
anders sie eine Stätte und Wirksamkeit
im Leben behaupten will. Goethe sagte
vom Theater: »Da ist Poesie, da ist
Malerei, da ist Gesang und Musik, da ist
Schauspielkunst und was nicht noch alles!
Wenn alle diese Künste und Reize von
Jugend und Schönheit an einem einzigen
Abend, und zwar auf bedeutender
Stufe
, zusammenwirken, so gibt es ein
Fest, das mit keinem anderen zu ver-
gleichen.« — Wenn wir nun zusehen,
wie wir bei dem heutigen verwirrten
Stande der Dinge wieder zu einem solchen
Feste gelangen könnten, so thun sich
zweierlei Wege vor uns auf. Einestheils
können wir die vorhandenen Bühnen
durch zweckmässige Verbesserungen dazu
geeignet machen und anderntheils können
wir eine neue Einrichtung schaffen: das
Festspielhaus
.

Schon jetzt erachten es die Leiter
grösserer Bühnen für erspriesslich, dann
und wann Vorstellungen zu geben, die
sich in festlicher Weise herausheben aus
dem Durchschnitte der allabendlichen,
zeitvertreibenden Stücke. Leider blieben
sie fast durchwegs beim Ton-Drama. Das
war eine halbe Massnahme von Unge-
wissem Erfolge. Ungeachtet der Bayreuther

Festspiele werden heute beinahe in jeder
grösseren Stadt so vortreffliche Auf-
führungen der musik-dramatischen Haupt-
werke veranstaltet, dass das Bedürfnis
nach »Muster-Aufführungen« dieser Art
mindestens sehr viel weniger dringend
ist als dasjenige nach einem festlichen
Ringe poetischer Dramen
, die fast
allenthalben arg vernachlässigt werden.

Wenn solche Festspiele jedoch einem
lebendigen, nationalen Bedürfnisse in Wahr-
heit genügen sollen, dann dürfen sie sich
freilich nicht mit jenen trübseligen Er-
zeugnissen einer entartenden und durch
und durch unschöpferischen »Literatur«
befassen, die heute der öffentlichen Meinung
aufgebürdet werden, seien wir offen, durch
gewisse Theater-Geschäfte und Schrift-
steller-Genossenschaften. Hier muss wieder
die wahre Dichtkunst im Sinne Goethes
in den Vordergrund treten, hier müssen
vor allem die Bedingungen und Forde-
rungen in künstlerischer Weise erfüllt
werden, welche das Leben stellt.

Die erste Forderung ist die, dass die
Zuschauer äusserlich und innerlich heraus-
gehoben sein wollen aus dem Alltage,
wenn sie für mehr als Alltägliches zu-
gänglich sein sollen. Der Gedanke Goethes
und Richard Wagners, alle Künste zu-
sammenwirken zu lassen zur Erregung
der festlichen Stimmung in der schauenden
Gemeinde, ist festzuhalten. Schon die
Ankündigung soll eine gewisse Würde
wahren. Wir laden die Menschen zu

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 20, S. 483, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-20_n0483.html)