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einem Feste. Wir führen sie in das näm-
liche Schauspielhaus, das sonst mancherlei
Abendunterhaltung gewährt. Heute aber
sind sie zusammengekommen, einem Rufe
folgend, der ihnen die Erfüllung einer
grossen Sehnsucht feierlich verhiess.
Sie sehen sich in seltsamer Spannung
und erregter Erwartung und erkennen
sich plötzlich als Gemeinschaft; den
Sinn des Lebens wollen sie wissen,
sie wollen fühlen, dass es ein Trost sei,
zu leben, und wollen dem erschauten
Sinne des Lebens zujauchzen.
Das Haus verdunkelt sich. Die Musik
hebt an. Darauf theilt sich der Vorhang.
Das ärgerliche Klingelzeichen sei ein- für
allemal verpönt. Nicht minder der mit
bildlichen Darstellungen versehene Vor-
hang, der, indem er in eine Scene blicken
lässt, dem Zwecke der Verhüllung sinnlos
widerspricht. Ein Tuch soll hernieder-
wallen, nur mit Ungewissen Ornamenten
verziert, wie sie im Gewebe selbst zu er-
wirken sind. Hiedurch wird statt der Zer-
streuung, die ein vielgestaltiges Bild hervor-
ruft, eine erwartungsvolle Ruhe bewirkt.
Überdies hebt sich alsdann die eröffnete
Scene stärker hervor. Der Vorhang wird
nach links und rechts aufgerafft und bleibt
in dieser Raffung stehen als sichtbar ab-
grenzender Rahmen, der an ein festliches
Gezelt, an die Wesenheit des Spieles
erinnert und der die Meinung verdrängt,
als ob die inzwischen zu schauenden
Vorgänge unter gleichen Gesetzen und
Rhythmen, wie die der sogenannten »Wirk-
lichkeit« vor sich giengen.
Unmöglich ist es, derartige Fest-Auf-
führungen dauernd durchzuführen ohne
die Werke zeitgenössischer Dichter. Das
Volk, wenn es sich als schauende Ge-
meinde versammelt, will nicht nur em-
pfangen, es will auch geben. Beobachtet
die einfältigsten Schaustellungen auf den
Kirmessen! Mit welcher Lust wirken die
Zuschauer mit! Wie freuen sie sich über
die eigenen Äusserungen des Beifalles, des
Missfallens! Erinnert euch, wie die Athener
im Theater sassen, als Richter auch, mit
dem ernsten und doch freudigen Bewusst-
sein, dass ihre Entscheidung ein Werk
aus der Reihe der Wettkämpfe empor-
heben solle zu ewig wirksamer Macht
im Leben. Auch ist es nicht erträglich,
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immer nur dasselbe zu hören, und sei es
das Grösste. Wir wollen uns zu einem
Rausche der Dankbarkeit für das Leben
entflammen und wollen darum ein Zeugnis,
dass das Leben sich auch heute
noch täglich vollende. Wenn wir nur
Schöpfungen aus der Vorzeit sehen, so
bemächtigt sich unser am Ende eine
Niedergeschlagenheit, als ob heute die
Schöpferkraft erstarrt sei und das Leben
nicht mehr so lebenswert wäre wie ehe-
dem. Mag des Volkes Urtheil auch dreimal
falsch sein: wenn es das viertemal zu-
trifft, hat es durch seinen Beifall eine
Schöpfung von dauernder Bedeutung voll-
bracht, denn es hat durch sein brausendes
Jauchzen herbeigerufen an einen Born der
Schönheit und der Kraft, den der Dichter
aufschloss. Wie wollt ihr die Werke anders
vom Scheintode der »Literatur« erwecken?
Als Bücher sind sie nur Erlesenen und
Erleuchteten lebendig. Derer aber sind
allzu wenige. Bei ihnen bliebe also alle
Kunst, wenn wir nicht, auch auf die Ge-
fahr hin, oftmals ein falsches Urtheil zu
erhalten, wenigstens einige Werke echter
Kunst vom Volke in die Allgemeinheit
tragen lassen. Mag dem Volke in anderen
Kunstübungen der Zugang zum Höchsten
verschlossen sein, für die Kunst der Schau-
bühne ist es der einzige berufene Richter.
Diese Kunst ist mit dem Volke oder
sie ist überhaupt nicht. Man bleibe
also nicht stehen beim »ernsten Literatur-
Stücke«! Die literarischen Stücke, ihrem
Wesen nach lehrhaft, oft nüchtern, zu-
meist nur dramatisierte Erzählungen, wenn
auch zuweilen voll tiefen Inhaltes, sind
im Grunde der Schaubühne zuwider, denn
diese will eine Dichtung in grossen Zügen,
voll schöpferischer Neudeutung der uralten,
heimatlichen Heldenmotive. Kurzum eine
festliche Kunst, die schon durch eine
sinngemässe Mitwirkung der Musik zu
einer gewissen Idealität und Heiterkeit er-
hoben wird. Jede grössere Bühne muss
von Zeit zu Zeit etwas Ausserordentliches
bringen, sonst verliert sie die Theilnahme
des Volkes. Eine bestehende Schaubühne
aber, die sich der Aufgabe unterzöge, eine
wahrhaftige, freie Kunst, die zugleich der
feierliche Ausdruck unseres nationalen
Wesens ist, in der angedeuteten Weise
wiedereinzuführen, wird sich dergestalt aus-
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