Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 21, S. 492

Laus Veneris II. (Swinburne, Algernon Charles)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 21, S. 492

Text

SWINBURNE: LAUS VENERIS.

Das leise Lachen, das die Küsse kürzt,
Wenn immer sich der Mund von neuem schürzt,
Offene Lider schliesst, geschlossne theilt,
Und heiss ein Blutstrom durch die Adern stürzt,

Bis das geküsste Antlitz ganz versehrt
Von Glut ist und dem Munde fürder wehrt,
Der nun da, wo er schmerzte, wieder heilt
Und so die Flamme unaufhörlich nährt.“

So sang ich damals, was ich nicht verstand.
„Fürwahr, ein seltsam Ding ist hierzuland
Die Liebe. Wohlfeil dünkt mir ihre Huld.
Fliegt sie nicht Jedem ins Gesicht wie Sand?

Meist ist sie Gram in vielerlei Gestalt,
Ein Seufzen, Händeringen und dann bald,
Nach Schickungen, ertragen in Geduld,
An Gräbern ein zu früher Aufenthalt.

Wie Einer, der im Ried die Wittrung spürt,
Die ihn auf eines Panthers Fährte führt,
Blindlings die Spur verfolgt, bis unversehn
Die harte Pranke ihn zusammenschnürt,

Gehn sie der Liebe nach, wenn sie erspäht
Die leise Spur, die sie von fern verräth
Und können ihrem Griffe nicht entgehn,
Dem Keiner, noch so Tapfrer widersteht.“

Und eines Tages, allen Dingen gram,
Dem Glücke fürderhin misstrauend, nahm
Ich Abschied von der Heimatsflur und ritt
Ins Weite, bis ich an den Hörsel kam.

Dort stand ein alter, grosser Fliederbaum
Im hohen Grase. Durch den Blütenflaum,
Der sich zurückbog, sah ich Sie. Sie schritt
Nackt, zwischen Halmen hin am Wiesensaum.

(Des Gedichtes dritter Theil folgt.)

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 21, S. 492, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-21_n0492.html)