Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 21, S. 491
Text
Zehn Jahre mögen es nun sein und noch
Schlägt mir das Herz in der Erinnrung hoch —
Da ritt ich — unter mir im tiefen Schacht
Brauste der Rhein — über ein Felsenjoch.
Der Strom im breiten Bette zog sich kraus,
Ich ritt dahin im scharfen Windessaus,
Weitab von meinen Mannen, ohne Acht,
Gemuthet zu jedwedem kecken Strauss.
Da kamen von der Sonne Aufgang her
Von meinen Feinden welche, gut in Wehr,
Mir kenntlich am bemalten Waffenrock,
Drei weisse Wölfe rannten drüber quer.
Ich zog mein Schwert zum Gruss. Die Klinge pfiff.
An Zwein erprobt’ ich alsbald ihren Schliff.
Dem Dritten im rothzottigen Gelock
Entwand ich seinen Speer mit raschem Griff.
Sein Zottelbart ward schwarz von meinem Hieb,
Doch wollte er noch fliehn, der feige Dieb.
Mit flacher Klinge gab ich ihm den Rest.
So schlug ich drein, bis Keiner übrig blieb.
Nun, da die schweren Stunden je und je
Mich niederdrücken und das gleiche Weh
Mich nimmermehr aus seinem Zwang entlässt,
Wird mir zur Bitterkeit das Glück von eh’.
Wenn dann der Schlachtlärm schwieg, im freien Feld
Wir ruhten oder unterm Lagerzelt,
Klang oft noch Schwerterklirren im Turnier,
Auch wohl ein Lied von sangeskundgem Held.
Da sang auch ich von Liebe, obschon blind,
Also: „Wie Taubenfedern, flaumig, lind,
Ist das geheime Liebeslachen mir,
Süsser, als Magdalenens Thränen sind.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 21, S. 491, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-21_n0491.html)