Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 21, S. 490
Text
Da sind Tyrannen, Helden, hochgeehrt,
Erobrer, die mit Krieg die Welt verheert,
Vasallen, Könige und das Gezücht
Der Buhlerinnen — nun von Qual verzehrt.
Da ist auch sie, die Babel bauen liess,
Nationen unterwarf und an sich riss,
So sagenhaft umwoben vom Gerücht,
Die starke Tigerin Semiramis.
Das Unmass jener Sünden qualmt wie Rauch.
Jedoch, so voller Graun und Dunkel auch
All ihr Beglnnen war — was ich verbrach,
Ist schwerer als ihr schlimmster Frevelbrauch.
Denn ich war Christi Kämpfern eingereiht,
Kein Helde ohne göttliches Geleit.
Noch bricht durch alle meine trübe Schmach
Der Glanz vom ehemalgen guten Streit.
Das Schlachtfeld thut sich vor mir auf. Getrapp,
Geklirr von Waffen, kurzes Pfeilgeschnapp.
Zweischneidig saust das blinkende Geschoss
In Würfen, sicher abgezielt und knapp.
Blitzgleiche Lichter zucken durch die Reihn
Von blanken Panzern. Schein und Widerschein
Flirrt um die scharfen Streiter hoch zu Ross —
Dazwischen Wiehern, Schnauben, wildes Schrein.
Mein eignes Schwert taucht biegsam, langgestreckt
Wie eine Schlange vorwärts und verdeckt
Die Augen mir mit Funken, dass ich nichts
Als Farben sehe, totenhaft gefleckt.
Von Staub und Blutdunst blüht die Luft zum Bausch
Sich auf. Feind gegen Feind ein Klingentausch —
Bis jede Fiber zuckt und angesichts
Des Todes das Getümmel wird zum Rausch.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 21, S. 490, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-21_n0490.html)