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Selten sind köstliche Gaben mit
grösserem Missverständnisse vergeudet
worden, als in unseren Tagen die der
Künstler der Bühne! Nicht einmal die
kärglichen Ansätze zu einer stilistischen
Erhebung ihrer Kunst, welche unter den
Augen Goethes errungen und, wenn auch
vergröbert, überliefert worden waren,
wollte man ihnen lassen. Heute soll
unseren Schauspielern der letzte kümmer-
liche Rest kunstvollen Vortrages, bedeut-
samer Geberde, jede Freude an dem
sinnlichsten
, natürlichsten Wesen
ihrer erhabenen Kunst gewaltsam aus-
getrieben werden, damit sie nur noch das
Schwatzen und Gehaben des »Alltages«
nachzuahmen vermögen gleich den Affen.
Es wird nicht allzu lange währen, so
findet sich kein Schauspieler mehr, der
die deutsche Sprache und die deutschen
Verse noch bühnengemäss sprechen kann.
Wir wollen absehen von der gewöhnlichen
Possenreisserei und Unterhaltungs-Vor-
stellung; wir wollen uns nur an jene Stücke
von literarischem Range halten, die über
dem Durchschnitte stehen und die man an
die Stelle der Werke reiner Dichtkunst zu
setzen sich bemüht zeigt. Sie verlangen
vom Schauspieler, dass er rauchen, spucken,
husten, schneuzen, schnupfen, rülpsen und
röcheln kann, dass er ein abscheuliches
Kauderwelsch aus Dialecten und abge-
schliffenen Redewendungen im Munde
führe, in Geberde, Tracht und Empfinden
einem winzigen, flüchtigsten Stückchen
Zufall und Heute dergestalt gleiche, dass
auch die nüchterne, selbst-genügsame
Verständigkeit sage: So ist es! — Wir
wollen nichts anführen gegen die lite-
rarische Bedeutung solcher Stücke, aber
wir wollen Einspruch erheben dagegen,
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dass sie die schöpferische Kunst des Schau-
spielers vernichten, die uns vonnöthen ist
für das festliche Drama, das im An-
schluss an die Tradition von Goethe her
durch schöpferische Gestaltungskraft aus
unserem Empfinden zu erlangen das Ziel
unseres Schaffens ist.
Welchen Dank erfahren die Schau-
spieler für das Opfer ihrer Kunst? — Nur
den, dass ihnen der Bürger trotzdem die
Sänger vorzog, welche einen gewissen
Stil bewahrt und unter der Einwirkung
Richard Wagners vervollkommnet haben.
Darum sind die Schauspieler unsere
nächsten und stärksten Verbündeten, denn
es handelt sich um die Erhaltung ihrer
Kunst grossen Stils, um Sein oder Nicht-
Sein. Dauernd können die gebildeten
Deutschen nicht vorgeben, Gefallen zu
finden an der Nachahmung des Zu-
fälligen. Alle anderen Künste erziehen
sie: die Musik, die Malerei, die Zier-
kunst. Sie müssen sich über kurz oder
lang ganz abwenden vom Schauspiele
höherer Art, wenn dieses in der wirren
Formlosigkeit beharrt. Sind doch den
jüngeren Schauspielern jetzt schon die
singenden Tänzerinnen und die Grotesken
der Tingeltangel nicht selten überlegen in
der Beherrschung des Körpers und aller
sinnlichen Grundzüge ihrer Kunst, so dass
die Maler und Kunstfreunde es oftmals
vorziehen, ihr Auge in den Singspielhallen
an wirklicher Kunst der Geberde und der
Tracht zu ergötzen, anstatt in den Schau-
spielhäusern Ärgernis zu nehmen an der
ungestalteten, aufdringlichen Rohheit, oder
traurig berührt zu werden von der falschen
Verwendung und Demüthigung herrlicher
Talente.
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