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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 21, S. 505

Text

FUCHS: DIE SCHAUSPIELER.

Ihr Schauspieler seid gestellt an
die äusserste Warte der Kunst
. Indem
ihr schaffet, gebt ihr aus dem Rahmen
der Schaubühne das Werk wieder frei,
gebt es wieder hinein in das Leben. Ihr
seid es, die den Ring schliessen, und in
euch ist ein tieferer Wert und eine
höhere Würde
, als bisher ange-
nommen wurde
! — Diese begründen
sich aus dem lebendigen Zwecke der
festlichen Kunst
. Indem ihr euer Fleisch
und Blut, durchrieselt von den Rhythmen
der poetischen Gestaltung, zur Vollendung
erhebt, zum vollen Sinne des Menschlichen,
durchbrecht ihr tausend geistige Ringe,
die um die Kunstwerke gelegt sind, und
tragt diese hinein unmittelbar in die
Sinnlichkeit der Zuschauer
. Sie
lieben euch darum, und ob ihr gleich
den teuflischen Richard III. spielet: sie
lieben euch, denn auch in ihm hat unser
Wesen sich vollendet, und wenn das
Besondere in ihm auch Entsetzen einflösst,
so enthüllt sich uns dahinter doch die
Kraft und der Geist der Gattung siegreich
und freudig: »Wohl tausend Herzen
schwellen mir im Busen!«

Sie lieben euch, wenn ihr die geistige
Kunst wieder in blühender Sinnlichkeit
aufgehen lasset. Alles Bräutliche und
Mütterliche in den Frauen, jede stolze
Glut und Begierde nach Gewalt und
Schöpfung im Manne, das Sinnlichste und
Sehnsüchtigste eröffnet sich der Kunst und
nimmt sie auf wie labenden, lösenden
Wein des Lebens. Denn das, was die
ewige Hoffnung aller Menschenkinder ist,
das seid ihr ihnen nun im Fleische wan-
delnd nach dem Willen des Dichters:
Erstlinge an Leib und Seele!

Darum seien euch auch die sinn-
lichsten
Kunstmittel die wichtigsten —
wobei wir wohl kaum bemerken müssen,
dass wir hier »Sinnlichkeit« nicht im
moralischen Verstande meinen! Wenn ihr
das Wort des Dichters geistig und sprach-
lich ganz beherrscht, dann habt ihr erst
die Vorarbeit gethan: den Stoff ganz in
euch aufgenommen. Nun schaffet ihr,
schaffet euch selbst um zu der Gestalt, die
der Dichter will, nicht indem ihr sie wieder
zur einmaligen, zufälligen Person herab-
zieht, sondern indem ihr euch in ihre
Allgemeinheit (Typik) und Schönheit empor-

hebt. Euer ganzer Körper ist vonnöthen.
Ihr seid im Irrthum, wenn ihr glaubt,
das Gesicht sei das wichtigste Ausdrucks-
mittel. Wenn ihr annehmt, dass mit Ab-
nahme der abscheulichsten Barbarei auch
die Fernröhren aus dem Hause der fest-
lichen Kunst verschwinden müssen, so
werdet ihr euch nicht mehr abmühen um
»charakteristische« Grimassen. Es ist zu
beachten, dass die Ausdrucksmittel für
einen grossen Raum ausgiebig seien. Eine
Qual wird dem Künstler aufgebürdet, wenn
man ihn durch unkünstlerische Vorschriften
an die eingeengten, nützlichen Bewegungen
des Alltags kettet. Kann doch schon der
Redner den Drang nach einer freieren
Symbolik in den Geberden kaum be-
meistern. Für den Schauspieler gar ist
dieser Drang der Träger alles Schaf-
fens
. Erinnert euch, dass die Kunst des
Schauspielers ihre Herkunft genommen
hat vom Tanze. Die Ausdrucksmittel des
Tanzes sind auch die natürlichen Mittel
des Schauspielers, und sie unterscheiden
sich von denen des Tanzes nur durch er-
weiterte
Ausdrucksfähigkeit. Je näher
dem rhythmisch gebundenen Spiele der
Glieder im Tanze, um so Vollkommeneres
wird der Schauspieler schaffen, wenn er
auch niemals dabei ganz zum Tänzer
werden soll. Es ist Pflicht des drama-
tischen Dichters, ihm da vorzuarbeiten.
Ein bewunderungswürdiges Vorbild gab
uns hiefür Shakespeare in der Gestalt des
Hamlet, den vollkommen zu spielen
gleichbedeutend ist mit dem erschöpfenden
Ausdrucke des Geistigen in sinnlichen
Mitteln des Tanzes. Kein Wort von seinem
Munde, das nicht seine Wellen durch den
ganzen Körper schlüge! Sehet ihn mit
Ophelien, wie sie vorwärts und rückwärts
treten, sich fliehen und sich haschen, sich
nun zu fassen scheinen und bestürzt aus-
einander weichen; es ist fast ein Menuet!

Ophelia: Mein Prinz, wie geht es euch
seit so viel Tagen?

Hamlet: Ich dank euch unterthänig:
Wohl.

So beginnt der ziere Tanz mit höfischer
Verbeugung. — Darauf beruht das Ge-
heimnis der »grossen Rollen«, des Hamlet,
des Mephistopheles und aller jener Ge-
stalten, die aus dem sinnlichen Wesen

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 21, S. 505, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-21_n0505.html)