Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 21, S. 506

Die Schauspieler Zur Psychologie des Hellsehens (Fuchs, GeorgDeinhard, Ludwig)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 21, S. 506

Text

DEINHARD: ZUR PSYCHOLOGIE DES HELLSEHENS.

der Schauspielkunst zu geben sind, aus
dem Tanze.

Die sogenannte ernste Bühnen-
Literatur mordet die Schauspielkunst.
Sie ist ihrem Wesen nach lehrhaft, sie
ist Anklage, sie ist Schilderung (der
»Sitten« oder des »Milieus«). Sie steht
allem näher als der Schönheit des Tanzes,
denn sie ist, wie sie ohne schöpferische
Formen in der Sprache auftritt, auch in
den Figuren ohne jede rhythmische Ver-
einfachung. Darum dürfen wir wohl des
Glaubens sein, dass die echten, die ge-
borenen Künstler der Bühne sich uns mit
Begeisterung gesellen werden in dem Be-
streben auf eine Wieder-Auferrichtung
einer reinen, schöpferischen und durchaus
festlichen Kunst der Schaubühne,
durch die allein ihre Kunst zur höchsten

Entfaltung erhoben werden kann. Voll
Neides blicken unsere Schauspieler auf die
bevorzugte Stellung der gefeierten Sänger,
denen durch die Kunst Richard Wagners
ein grosser Stil wiedergegeben wurde.
Allein die Sänger haben sich ihre glän-
zende Stellung wohl verdient, indem sie,
nicht achtend der kleinlichen Gegnerschaft
der Unschöpferischen, auf die Forderungen
und die Kunst des Meisters eingiengen.
Wenn wir uns heute bemühen, auch in
der dramatischen Dichtkunst zum Fest-
spiele
(in einem anderen und höchsten
Sinne dieses Wortes) aufzusteigen, so
können wir nur dann zum Ziele gelangen,
sofern die bedeutend veranlagten Schau-
spieler sich mit uns in diesem Vorsatze
vereinen.

ZUR PSYCHOLOGIE DES HELLSEHENS.
Von LUDWIG DEINHARD (München).

Über Clairvoyance oder Hellsehen ist
im Laufe dieses Jahrhunderts in allen
Cultursprachen, aber wohl am meisten in
französischer Sprache, viel, unendlich
viel publiciert worden. Aus der fran-
zösischen Literatur des Magnetisme, des
Somnambulisme und der Clairvoyance
schöpfte mit Vorliebe seine Beispiele und
Anekdoten der kürzlich verstorbene Mün-
chener Philosoph Carl du Prel. Schon in
seiner »Philosophie der Mystik«, die
Eduard von Hartmann in eine Psycho-
logie des Somnambulismus umzutaufen
vorschlug, treffen wir eine überaus statt-
liche Reihe von älteren französischen
Autoren citiert, die dieses Gebiet behan-
delten, Namen wie Dupotet, Lafontaine,
Delcuze, Puyséque und viele andere. Da-
gegen hat du Prel in seinen Werken
die ausserordentlich gründliche, moderne
englische Literatur seltener benützt; ich
meine zunächst jene zahlreichen Bände,
welche die Society for Psychical Research
in London und Boston in den letzten
10—15 Jahren über dieses hervorragendste
aller Probleme des Übersinnlichen ver-

öffentlicht hat. Ebenso glaubte unser
Münchener Philosoph auch die englische
theosophische Literatur mit ihrer der
Sanskritsprache entnommenen Termino-
logie unberücksichtigt lassen zu sollen.
Nach der Überzeugung du Prels, der,
wenn irgend möglich, nur auf dem Boden
von solchen Thatsachen fussen wollte,
die man in weiten Kreisen Europas als
feststehend anerkennt, versteigen sich
nämlich die Theosophen in Gebiete, in
denen alle positive Erfahrung aufhört
und in die ihnen nur der blinde Glaube
noch Gefolgschaft leistet. Allein du Prel
hatte, wie gesagt, der ganzen theoso-
phischen Geistesbewegung unserer Gegen-
wart von Anfang an den Rücken zuge-
wandt und arbeitete unbekümmert um die-
selbe am Ausbau seiner eigenen selbst-
ständig entworfenen Philosophie des Occul-
tismus ruhig weiter.

Nun frägt es sich aber: Stellt diese
theosophische Bewegung in Wirklichkeit
einen solch gefährlichen Ikarusflug dar,
der, mit unzureichenden Mitteln ausgerüstet,
nach der menschlichen Forschung über-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 21, S. 506, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-21_n0506.html)