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die Lust am Trug«; denn das ist ja wohl
das Allerneueste, die Lust am Schein,
»der Wunsch, dass alles neu und mit
Bedeutung auch gefällig sei.«
Ich weiss nicht, was ich dazu sagen
soll. Ich wollte Ihnen meine Gedanken
über die Schauspielkunst von heute aus-
sprechen und bemerke soeben, dass ich
fortwährend Goethes Gedanken aus-
spreche, Verse aus seinen Theaterreden
von 1791 und aus dem Vorspiel zum
»Faust«! Sollte es vielleicht gar keinen neuen
Stil geben, und sollten die Forderungen,
die jeder Kunstfreund an das Theater
stellt, zu allen Zeiten dieselben gewesen
und geblieben sein? Denn was wollen
wir anderes als »der Natur gleichsam
den Spiegel vorhalten« und »dem Körper
der Zeit den Abdruck seiner Gestalt
zeigen«? Shakespeare, Goethe — wie
weit von einander geschieden in ihren Stilen
und doch überall, wo sie theoretisieren,
dasselbe: Einheit und Wahrheit. Und
dasselbe wollten Laube, Schröder und
wie sie alle heissen, die Heroen des
Theaters. In der Theorie einig — und
doch in der praktischen Ausführung wie
verschieden!
Je mehr ich mir die Stile der ver-
schiedenen Zeiten vergegenwärtige, desto
klarer wird es mir, dass nur die Zeit
einen Stil in der Schauspielkunst erwarten
und durchsetzen kann, deren Literatur
und Cultur einen einheitlichen Stil besitzt.
Bei der allgemeinen Stillosigkeit, mit
der jetzt eine Literaturströmung hinter
der andern herjagt, bei der Zerfahrenheit
und Rastlosigkeit unseres Lebens hat die
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Schauspielkunst nicht die Ruhe und die
Zeit, sich zu consolidieren und sich ein-
heitlich weiterzubilden. Und da keine Kunst
so sehr nach Brot gehen muss, wie die
des Theaters, so wird sie solange nicht
zur Ruhe kommen, bis ihr Brotherr, das
Publicum, eine einheitliche Physiognomie
hat. Solange das Publicum aber in kleinste
Kreise zerfällt, deren jeder etwas Anderes
will, und solange die Dichtkunst ihren
Interpreten, die Schauspielkunst, unaus-
gesetzt nach den verschiedensten Seiten
gezogen sehen will, solange mit anderen
Worten die beiden bestimmenden Factoren
jeder Einheit, jedes Stils entbehren, kann
auch das Theater zu keinem Stile kommen.
Alles Theoretisieren hilft darüber nicht
hinweg. Je länger diese Einheit auf sich
warten lässt, desto eifriger wird das
Publicum dahin strömen, wo es in seinen
Hoffnungen und Wünschen weniger be-
trogen wird als im Theater, in das
Variété der Specialitäten-Bühnen. Dort
findet es in dem Vielerlei doch eine Ein-
heit und einen Stil und zuweilen sogar
Kunst.
Aus alledem sehen Sie, dass ich über
etwas, was es nicht gibt und in ab-
sehbarer Zeit auch nicht geben wird, über
»den neuen Stil in der Schauspielkunst«
auch nichts schreiben kann. Also nehmen
Sie es mir, bitte, nicht übel, wenn ich
Ihrer Aufforderung nicht nachkommen
konnte, und nehmen Sie die Versicherung,
dass, sobald mir etwas Derartiges wie ein
neuer Stil vor Augen kommt, ich es Ihnen
gewisslich melden will.
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