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dann später auch die in wesentlichen
Grundzügen verwandte Philosophie von
Eduard von Hartmann theilte. Was jedoch
diesen Philosophien so grosse Volksthüm-
lichkeit verschaffte, war nicht ihre logische
Überzeugungskraft und ihre gelehrte
Systematik, sondern der Umstand, dass
sie Propaganda machten für orientalisch-
philosophische Anschauungen.
Während aber Schopenhauer nur aus der
einsamen, eisigen Höhe der abstracten Ge-
dankenwelt sehnsüchtige Blicke warf nach
dem fernen Sonnenlande, versenkten sich
die Adepten der Theosophie mit ganzer
Seele in das reichverschlungene Urwald-
gewirre indischer Lehrsysteme und in die
heiligen Gangesfluten indischer Mystik.
Es war in der That ein Traumland, ver-
gleichbar jenem Devachan, wo die Seele
nach dem Tode in ihrer eigenen Schranken-
losigkeit in selbstgeschaffenen Bildern
webt, in einem heiligen Wahne, dessen
Gestaltungen doch zugleich Wirklichkeiten
sind. Denn es ist überhaupt eine der hervor-
ragendsten Eigentümlichkeiten dieser
Lehre, dass hier die Gedanken und die
Phantome der Vorstellung schlechthin als
Wirklichkeiten gelten. Das Heer der licht-
vollen und der finsteren, der edlen und
der böswilligen Gedanken umgibt den
Denkenden, dieser Lehre entsprechend, wie
ein Heer von lichtvollen Genien oder von
lauernden Dämonen, die alle am Gewebe
des Karma weben, des Schicksals der
Wiedervergeltung. Die Grenzen des Sub-
jectiven, Innerlichen, Gedachten und Ge-
träumten und des Wirklichen mit seinen
scheinbar so starren Realitäten ver-
schwimmen hier in unbestimmten Um-
rissen ineinander, und aus der Grundsub-
stanz des Geistigen, des Bewusstseins, aus
dem Akasa, gestaltet sich in den Welt-
altern, den Kalpas, immer aufs neue die
gesammte Welt der Realitäten und der
geistigen Individualitäten, um sich immer
wieder in seiner unterschiedslosen gött-
lichen Ur-Einheit aufzulösen in diesen Ab-
grund des Todes, der das höchste gött-
liche Leben ist. Hinter der Welt des
sinnlichen Seins, dieselbe durchdringend,
birgt sich eine Reihe subtilerer, geistiger,
höherer Welten, die ebensoviele Stufen
der Entwicklung der geistigen Individualität
darstellen, von der gespenstigen, phantom-
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artigen Astralwelt angefangen und der halb-
vergeistigten, halbphantomartigen Ebene
des Devachan, des seligen Traumlandes der
Seelen, bis zu der im höchsten Äther der
Allheit und des Gottbewusstseins webenden
Welt des reinen Akasa. Ein mächtiger Zug
nach dem Jenseits durchzieht diese dem
Tode und dem heiligen Wahnsinn so nahe
Lehre. Und doch, ein tiefes Gefühl für
Bedürfnisse des Zeitalters, ein mächtiger
cultureller und historischer Sinn erfüllte die
Begründer dieser Lehre, die in dieser
orientalischen, uns scheinbar so fremden
Gedankenwelt die wesentliche Ergänzung
der Gedankenkreise der westlichen, der
christlichen Welt erkannten, jene befruch-
tenden Keime, die allein zu neuer, höherer
Blüte der Cultur führen können.
Worin besteht nun das Wesen der
grossen culturhistorischen Bedeutung dieser
indischen Renaissance, dieser Verschmel-
zung der Anschauungen des fernen Ostens
mit denjenigen der europäischen Cultur?
Orient und Occident verkörpern in
ihren gegensätzlichen Grundanschauungen
die individualistische und die univer-
salistische Seite des Menschenwesens.
Die westlichen Völker verleugnen ihren
individualistischen Grundzug selbst in
ihren religiösen All-Anschauungen nicht,
und es haben daher auch die Anschau-
ungen von der Gottheit nicht bloss bei
den Germanen ein individualistisches Ge-
präge, sondern auch bei den Griechen und
selbst bei den halborientalischen Juden,
sowie auch in der kirchlich-christlichen
Weltanschauung; während die indische
Weltanschauung alles Leben der Natur
und des Geistes in den Ocean einer indi-
vidualitätslosen göttlichen All-Anschauung
versenkt und die Flucht aus dem Leben
der Individualität in den heiligen Todes-
abgrund des Brahm oder des Nirwana
das ideale Endziel der ostasiatischen Mystik
bildet. Der Westen allein hatte ein offenes
Auge für das Individuelle, auch für das
Sinnlich-Individuelle. Und es war daher
auch nur auf der Basis einer solchen, im
Fundament individualistischen Weltan-
schauung, wo selbst die Götter lebendig
individuelle plastische, bildliche Gestalt
annehmen (im Gegensatz zu der phan-
tastischen Formlosigkeit der symbolischen
Darstellung Ostasiens), ein liebevolles,
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