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Formspielereien machten im Zeitalter der
Alexandriner.
Nur zu sehr wollen nun Formen wie die
oben erwähnten von Dehmel und Holz
an diesen Alexandrinismus gemahnen.
Sie erwecken — bei Dehmel und Holz
ist dies nun allerdings vorerst nur noch
selten der Fall — bereits den Eindruck,
als sei diese Lyrik weniger aus der drän-
genden Fülle eines nothwendigen inneren
Inhaltes heraus erzeugt, als vielmehr aus
einer Fin de siècle-Blasiertheit, die einen
Gedanken, eine Empfindung lediglich mit
allen Chicanen einer raffinierten Virtuosität
zu möglichst effectvoller Wirkung bringt,
in einer Weise, dass sich im Bereich
dieser Lyrik Das, was man früher Pathos
im Gedicht und als dessen Wirkung auf
Hörer und Leser Katharsis nannte, auf-
löst in virtuose technische Bravour und
eine mehr peripherische Wirkung auf die
Nerven. Die Absicht dieser Lyrik geht
bereits deutlich weit mehr darauf aus,
sinnliches Wohlgefallen zu erregen, als
Das zu wirken, was man früher eine
Läuterung der Affecte hiess; sie berührt
weit mehr den Intellect als die Empfindung,
geschweige, dass sie, wie die Höhen-
dichtung früherer Zeiten, vermöge jener
Läuterung der Affecte auf so etwas wie
einen sittlichen Willen wirkte.
Diese Erscheinung könnte uns nun,
wenn wir ihre nothwendigen Consequenzen
ins Auge fassen, für die Zukunft unserer
Lyrik recht bedenklich stimmen und An-
lass zu mancherlei Pessimismus geben,
wenn nicht gerade in ihr wohl nichts zu
erblicken wäre als das letzte Merkmal,
die letzte raffinierte Endconsequenz alter
Kunst-Tradition, neben der denn doch noch
ganz andere und verheissungsvollere Ent-
wicklungsfactoren einer wahrhaft modernen
Kunst vorhanden sind.
Der hauptsächlichste dieser Ent-
wicklungsfactoren aber ist das Pathos
eines neuen Inhaltes, den uns die modernen
Naturwissenschaften und die sich aus
ihnen entwickelnde religiöse Weltanschau-
ung des Monismus geben.
Wir gewahren diesen Inhalt und dieses
Pathos vorerst noch in einem Übergangs-
ringen mit allen möglichen absterbenden
Culturelementen der mittelalterlichen Welt,
in einer Art von Götter- und Götzen-
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dämmerung, in einem Hexensabbath alter
und neuer Culturwerte, einem Chaos, das
indessen sicher einer neuen grossen In-
dividualität trächtig ist, berufen, dereinst
auch eine neue moderne Gipfelkunst zu
schaffen, die das gleiche harmonische
Gleichmass eines bedeutsamen und voll-
lebendigen Inhaltes und einer schönen
Form bieten wird, wie einst die Kunst
des attischen Classicismus, die reinste
Kunst, welche die europäische Cultur in
den Jahrtausenden ihres bisherigen Be-
standes hervorgebracht.
Wir reden heute so viel von Technik,
und man ist bestrebt, wer weiss welche
neuen und bis dahin unerhörten Formen
der Wortkunst zu finden, die dann eine
ganz neue Ära der Kunstentwicklung her-
beiführen sollen; leider sind aber die
meisten dieser Erzeugnisse nichts als
künstliche Treibhausproducte. Neue Kunst-
formen werden nicht gemacht, sie machten
sich noch je von selbst, erzeugten und ent-
wickelten sich organisch gerade aus der
drängenden Fülle eines mächtigen und
reichen Inhaltes, den eine neue grosse
Culturidee erregte.
Man glaubt, es sei nothwendig, über
die bisherigen Formen deutscher Dicht-
kunst hinauszukommen, selbst über die
Sprache eines Goethe, in dessen Werk
zum erstenmal das neue Mittelhochdeutsch,
wie es sich zu den Zeiten Luthers aus
dem Charivari der mannigfaltigen deut-
schen Dialecte heraushob und hervorzu-
bilden begann, zu einer reinen modernen Voll-
endung und zu erstaunlichster Ausdrucks-
fähigkeit, zur Classik gelangte.
Nicht darauf kommt es indessen an;
nicht auf neue, unerhörte, noch nie da-
gewesene Formen. Solche mit nur zu
bewusster Absicht eines grüblerischen,
nur zu kalten Intellectes hervorzubringen,
war noch je in Verfallszeiten einer Kunst
und Cultur lediglich das Bestreben der
jeweiligen Alexandriner.
Alles aber dürfen wir heute erwarten
von dem Pathos und den innerlich trei-
benden Mächten eines neuen Inhaltes und
von der Intensität, mit welcher er sich
der starken und productiven Individuali-
täten bemächtigt. Ob diese nun unter der
Gewalt dieses neuen Geistes, der heute
so tief und intim in das Leben jedes
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