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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 24, S. 562

Text

VERLAINE: ZWEI GEDICHTE. I.

Ich weiss nicht, warum mit so wilder Hast
Mein bittrer Geist entflieht zum Meer
Und meine Liebe hinterher
Die Flügel bebend, wie von Angst erfasst,
Um all ihr Eigenthum
Dicht überm Wasser schlägt. Warum, warum?

Seemöve mit dem langsam schweren Flug
Verfolgt sie längs der Woge ihren Weg
Wie diese auf und nieder, steil und schräg,
In Lüften strauchelnd hinterm Wolkenzug,
Seemöve mit dem langsam schweren Flug.

Von Sonne trunken und von Freiheit wirr
Trägt sie ein Trieb durch jenen Raum.
Und in der Frühe, wenn der Schaum
Sich färbt mit diamantenem Geflirr,
Wiegt sie ein lauer Wind
In sanften Halbschlaf ein, dass sie wie blind.

Zuweilen schreit sie voller Weh und schrill,
Dass fern im Meer der Lotse drob erbebt,
Gibt sich den Winden preis, steigt höher, schwebt,
Bricht sich die Schwingen, sinkt ins Meer und will
Nochmals empor und schreit dann weh und schrill.

Ich weiss nicht, warum mit so wilder Hast
Mein bittrer Geist entflieht zum Meer
Und meine Liebe hinterher
Die Flügel bebend, wie von Angst erfasst,
Um all ihr Eigenthum
Dicht überm Wasser schlägt. Warum, warum

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 24, S. 562, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-24_n0562.html)