Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 24, S. 568

Ein deutscher Buddhist (Arjuna, Harald van Jostenoode)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 24, S. 568

Text

ARJUNA: EIN DEUTSCHER BUDDHIST.

Denn das Christenthum betont vor allem
die Demuth. Christus, der Mittler, aber ge-
währt uns »die Gnade«, die auch schon die
Bhagavad-gîta kennt, die der Buddhismus
aber in den Hintergrund treten lässt.
Man kann sich gewiss vorstellen, dass
Jesus — wie Gautama Buddha — die Kraft
besessen haben muss, in höheren Sphären
zu wirken und dort einen Segen auf seine
Anhänger herabzurufen, der uns als un-
verdiente Gnade erscheint.

Keine Anstrengung geht verloren. Eine
Mutter, ein liebendes Weib bringt das
Unmögliche fertig, das von ihr Geliebte
zu retten. Wie viel mehr muss die
magische Kraft eines Vollendeten das-
selbe fertig bringen und noch viel mehr!
Wer aus reiner Liebe für jemand in den
Tod geht, der gewinnt ein gewisses An-
recht auf dessen Leben und schafft für
ihn eine ungeheure geistige Kraft im
Jenseits, die dem Geliebten, wenn er will
und sie ergreift, zugute kommen muss.
Das wussten schon die Alten, deshalb
starb auch der schöne Antinous für
seinen Herrn und wurde zum Danke da-
für von diesem wie ein Gott geehrt. Ja,
selbst die Soldaten, die in der Schlacht
für den heimischen Herd fielen, starben
für die Götter, und aus ihrem Blute sprosste
der Segen für die Vaterstadt. Unter
heiligen Opfergesängen starben Leonidas
und seine Schar.

Auch Buddha, der siegreich Vollendete,
erklärt sich selbst für gottgleich, »gleichen
Wesens mit dem Vater«, und so für die
Menschen Gnade schaffend. Da er nach
seinem vollen Erwachen zu den Ein-
siedlern zurückkehrt, und sie ihm den
Brudertitel geben, antwortet er: »Nicht
gehet den Vollendeten mit dem Namen
und dem Bruderworte an! Heilig ist
der Vollendete, der vollkommen Erwachte!
Leihet Gehör, ihr Mönche, die Un-
sterblichkeit
ist gefunden. Der Führung
folgend, werdet ihr in kurzer Zeit jenes
Ziel, um dessenwillen edle Söhne gänzlich
vom Hause fort in die Heimatlosigkeit

ziehen, die höchste Vollendung der Heilig-
keit noch in dieser Erscheinung euch
offenbar machen, verwirklichen und er-
ringen.« Und in einer seiner Reden sagt
er: »Jene, die Vertrauen und Liebe zu
mir empfinden, all diese steigen himmel-
wärts auf«.

Es ist im Grunde kein so grosser
Unterschied zwischen beiden erhabenen
Persönlichkeiten, wenn man näher zusieht
und die Verschiedenheit von Zeit und Volk
beachtet. Daher sollte man auch den
Streit zwischen beiden Richtungen ver-
meiden. Man sollte die Verächtlichmachung
des Buddhismus unterlassen, wie sie die
Jesuiten namentlich als Sport betreiben.
Nur grosse Naturen dringen in hohe Sphären
ein. Gewöhnliche Sterbliche müssen sich
begnügen, die Autorität anzuerkennen.
Nur unten ist ja Streit; je weiter man sich
den höchsten Regionen nähert, desto klarer
wird die Einheit von allem. Die Bhagavad-
gîta und das Johannes-Evangelium gehen
Hand in Hand.

Die Zukunft wird das indische Wissens-
und Glaubensgebiet mehr in den Vorder-
grund treten lassen. Einer der Männer,
die hier bahnbrechend vorangegangen sind
und sich daher den üblichen Undank der
Mitmenschen, den warmen Dank der Nach-
welt erworben haben, ist unser Pfadfinder
in Potsdam. Trotz seiner grossen Ein-
seitigkeit, die er mit manchem Genie theilt,
wird sein Andenken gesegnet sein.

Von Schopenhauer wird erzählt, dass
er, als man mit ihm von seinem Grabe
sprach und von der schweren Auffindbarkeit
desselben, gesagt habe: »Es ist einerlei,
sie werden mich finden!« Die Zeit wird
kommen, da man auch das schmucklose
Grab des Potsdamer Weltweisen finden
wird. Dann werden es seine Verehrer viel-
leicht durch ein Kunstwerk kenntlich
machen als die Ruhestätte eines Denkers,
der auf dem rollenden Rade des Lebens
das Nirwana, den festen Ruhestand, ge-
sucht hat.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 24, S. 568, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-24_n0568.html)