Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 24, S. 567

Ein deutscher Buddhist (Arjuna, Harald van Jostenoode)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 24, S. 567

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ARJUNA: EIN DEUTSCHER BUDDHIST.

asketisch und mit höheren Gedanken be-
schäftigt, in treuer Erfüllung aller seiner
Pflichten, ohne sich Ruhe und Erholung
zu gönnen. Er lebte so mässig wie
möglich, trank mittags nur Wasser. In
den Tod, der in der fürchterlichen Form
des langsamen Verhungerns infolge eines
Speiseröhren-Krebses an ihn herantrat,
gieng er mit grösster Seelenruhe. Als er
nichts mehr schlucken konnte ausser Kaffee
und Thee, verweigerte er jeden Versuch,
das Leben durch künstliche Mittel zu ver-
längern. Vierzehn Tage dauerte es, bis er
dem Hungertode erlegen. Bis drei Tage vor
seinem Erlöschen erschien er zu den ge-
meinsamen Mahlzeiten und forderte die
Anderen auf, zu essen. In seinem Testa-
ment verbat er sich Ankündigung des
Leichenbegängnisses, Anwesenheit eines
Geistlichen, Setzen eines Grabsteines
und Anlegen von Trauerkleidung. Man
könnte dabei an das Wort aus »Nathan
der Weise« denken: »Ihr seid ein
Christ, Nathan! Wahrlich, Ihr seid ein
Christ!« Denn was wäre in Wahrheit
christlicher, als vom Tode, den man ja
doch überwinden soll, so wenig Wesens
wie möglich zu machen? Was ist un-
christlicher, als jemand zu betrauern, der
ja doch nach Ansicht des Christen im
besseren Jenseits ist, oder einen prunken-
den Leichenstein zu setzen, der lügt »wie
eine Grabschrift«? Wie viel unnützes
Geld wird ferner selbst von wenig wohl-
habenden Leuten ausgegeben für eine
glänzende Beerdigung! Wenn man durch
seine Lebensführung seine Zugehörigkeit
zu einer sittlich geläuterten Religions-
Auffassung bekennt, muss man vor der
Schultzes hohe Achtung haben.

Wie war nun Schultzes Stellung zum
Übersinnlichen? Er hat seine Ansichten
in einem höchst lesenwerten Buche nieder-
gelegt, das vielleicht das Beste ist, was
bisher über den Buddhismus gesagt worden
ist. Es führt den Titel: »Vedanta und
Buddhismus als Fermente für eine
künftige Regeneration des religiösen
Bewusstseins innerhalb des euro-
päischen Culturkreises
« und ist zuerst
erschienen in zwei Bändchen unter den
Titeln: »Das Christenthum Christi und die

Religion der Liebe; ein Votum in Sachen der
Zukunftsreligion« und »Das rollende Rad des
Lebens und der feste Ruhestand«.* Der Ver-
fasser unterwirft hier die Dogmen der Kirche
einer vernichtenden Kritik und weist mit
Energie auf die indische Lehre des Buddha
hin, welche die ältere Lehre der Vedanta
ergänzt. Er trägt kein Bedenken, zu er-
klären, »dass, wenn man dem Buddhismus
und dem Christenthum mit gleicher Un-
befangenheit gegenübersteht, wenn man
beide als Thatsachen der menschlichen
Culturgeschichte betrachtet und nach dem
Wert fragt, den die eine und die andere
dieser Religionen für das Wohl der
Menschheit gehabt haben, man den Buddhis-
mus weit höher schätzen müsse als das
Christenthum«,

Man kann hier, glaub’ ich, Schultze von
Einseitigkeit nicht freisprechen. Er war
offenbar ein sehr nüchterner, klarer Denker,
bei dem die Phantasie in den Hintergrund
trat. Ihm fehlte daher auch der Sinn für
jene Seite des Christenthums, die der
Katholicismus namentlich auf dem Ge-
biete der Kunst so herrlich ausgebildet hat.
Er war eine abstracte Natur. Für solche
Menschen ist allerdings der Buddhismus
in seiner kalten Verständigkeit wie ge-
schaffen, aber andere Naturen werden wohl
dem Christenthum den Vorzug geben. Es
sind das die weiblichen, die warmen, die
Künstlernaturen. Gerade in dem engen
geistigen Anschluss an die Familie von
Nazareth findet der Christ eine Fülle von
Stoff zur seelischen Förderung, die er im
Buddhismus entbehrt, und die der Buddhist
dadurch zu ersetzen sucht, dass er den
grossen Gautama selbst als Erlöser auffasst
und sein irdisches Leben kennen zu lernen
sucht. Was Gautama selbst von sich abge-
lehnt hätte, das In-den-Vordergrund-treten
seiner eigenen Persönlichkeit, das ist denn
doch später eingetreten, ein Beweis, dass
die Menschen menschlich auffassen wollen.
Und noch eins. Von der Erscheinung
Jesu bleibt die seiner Mutter stets unab-
lösbar. Bei den Indiern fehlt das Weib.
Das Weib aber hat seit den Tagen Christi
eine grössere Rolle gespielt als je. Das
Weib hat dem Christenthum mehr noch
seine Signatur aufgedrückt als der Mann.

* Bei Friedrich in Leipzig, 1891.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 24, S. 567, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-24_n0567.html)