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Die flüchtigsten Stimmungen und Ver-
stimmungen der Seele finden bei ihm ein
Heim; jede Thräne, jede Laune, jedes
Lächeln, jedes Dahinträumen, jede Sehn-
sucht. Eine klare, aristokratische, ein wenig
morbide Seele, vergeistigt er, was an ihn
rührt. Er scheint flach. In Wahrheit ist
es die Durchsichtigkeit und Reinheit seiner
Natur, welche Einen bald auf den Grund
sehen lassen
In den Hauptkämpfen des Lebens wissen
wir uns grössere, männlichere, stärkere
Musikernaturen zu Führern. Als Zwischen-
acts-Musik, wenn der Körper ein wenig müd
und abgespannt, der Geist noch lebendig
und bewegt ist, können wir keine ver-
führerische Tröstung finden, die edler
wäre, als die Musik Frédéric Chopins.
II.
Am 25. October ist im Wiener Stadt-
park das Denkmal Anton Bruckners
enthüllt worden.*
In jenen geistigen Strömungen der
Gegenwart, die ich mit den Worten: Er-
wachen aus der Romantik kurz bezeichnen
möchte, wird die Musik Anton Bruckners
eine entscheidende Rolle spielen. Ihre Zeit
und ihre grössten Wirkungen liegen noch
vor ihr. Ich wüsste keine zweite Musik
unserer Zeit, welche dieser gleich wäre
an eingeborener Grösse, natürlicher Kraft,
an wahrhaft grosser heroischer Gesinnung.
Sie ist nicht Musik für dämmerige Winkel
der Seele, Ammengesang für wunde
Herzen, sondern tyrtäische Musik, welche
zu den grossen Kämpfen des Lebens und
der Welt aufspielt; nicht immer gesittet
und ästhetisch gezähmt, aber immer gross,
reich, von elementarer Kraft.
Diese elementare Gewalt verdankt
Bruckner wohl seiner Abstammung. Die
Sünden, die Übercultur und die Künstlich-
keiten der modernen Civilisation haben
ihn nicht berührt. In ihm concentriert
sich die Kraft eines Bauerngeschlechtes.
Tief in den Boden seiner oberösterreichi-
schen Heimat hinab greifen die Wurzeln
seines Schaffens. Aus Äckern und Wiesen,
Bächen und Forsten ziehen sie ihre
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Kräfte. Bruckner ist neben Schubert der
einzige Musiker, welcher der Mutter Erde
so nahesteht, dass er in seine Werke den
Dialect der Heimat einströmen lässt: in
seinen herrlichen Scherzo-Bauerntänzen.
Wenn eine derartige Natur zum ersten-
male in die musikalisch-übercivilisierte
Welt eintritt, dann wäre es ein Wunder,
wenn sie nicht als ungesittet empfunden
würde.
Es war das tragische Schicksal im
Leben Bruckners, dass er nach Wien ge-
rieth. Nicht etwa, weil er hier Jahre der
inneren Einsamkeit und der furchtbarsten
künstlerischen Martern erlebte, sondern
vor allem, weil er zu jenen echten und
ursprünglichen Naturen gehörte, die, ein-
mal von ihrem heimischen Boden losge-
löst, schutz- und hilflos den Halt ver-
lieren, der im Boden und im Lande ihrer
Heimat liegt. Wir wissen ja, wie dieser
Mann in der Grosstadt herumgieng, fried-
los, kindlich, verwirrt; von seiner inneren
Welt hypnotisiert, ohne Organe für das
äussere Leben; dem Spotte und der Rohheit
der Welt preisgegeben. Für die Einen
einer von den närrischen Leuten, wie
man sie hie und da auf Dörfern findet,
für die Andern ein Curiosum, für Jene
ein kindischer Alter. Und der Künstler
selbst, diese grosse und naive Seele, gieng
in dieser Menge staunend herum, küsste
seinem mächtigsten kritischen Gegner die
Hand, zog tief vor jedem Spötter den
Hut, d. h. er suchte überall irgendeinen
Anschluss an die fremde Umgebung, ein
Wort des Verständnisses, einen treuen
Blick, und konnte nicht begreifen, dass
Welten zwischen seiner Natur und der
grossen Stadt lagen. Er sah nur eine
verwirrte, sonderbare und sehr complicierte
Welt um sich herum, deren Sitten, Worte,
Bücklinge, Geberden er in seiner einfachen
Kraft nicht verstand, welche seine Ver-
suche, sich ihr verständlich zu machen,
mit Lachen zurückwies. Es war ein tiefes
Gefühl, welches ihm die letzten Wünsche
eingab, in seiner Heimat das Grab zu
finden. Nun ruht sein Körper in der
heimischen Erde, die ihm Kraft, Leben
und die Ursprünglichkeit seiner Natur
gab und die er nie hätte verlassen sollen.
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