Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 25, S. 600

Hypnotismus und Magnetismus I. (Thomassin, Carl von)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 25, S. 600

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THOMASSIN: HYPNOTISMUS UND MAGNETISMUS.

des Hypnotismus und Magnetismus längst
bekannt waren, ja dass sie bereits in
ältester Zeit nachzuweisen sind.*

Schon die ältesten Völker des Orients:
die Chaldäer, Babylonier, Perser, Indier,
Chinesen, Phönicier, Egypter haben sich
des Magnetismus und Hypnotismus unter
religiösen Ceremonien zur Krankenheilung
bedient. Von Herodot, Galenus, Diodor
von Sicilien, Cicero, Pamphilus, Plato,
Origenes, Philostrat und anderen wird be-
richtet, dass die Chaldäer, Perser und
Mesopotamier theils durch Handauflegen
zu heilen suchten, theils dadurch, dass sie
ein Weib oder einen Knaben in somnam-
bulen Zustand versetzten, um dann von
diesen während des Hellsehens Angaben
von Heilmitteln zu erlangen.

In China scheint insbesondere die
Fixationshypnose, sowie das magnetische
Streichverfahren zu Heilzwecken verwendet
worden zu sein. Sehr eingehend behandelt
die Ausübung des Magnetismus und
Hypnotismus bei den Chinesen bereits
der Jesuit Athanasius Kircher (in seinem
Werke: De arte magnetica. Köln 1643),
sowie die beiden Orientreisenden Osbeck
und Toreens in ihren Reiseberichten.

In Indien waren Magnetismus und
Hypnotismus seit den ältesten Zeiten be-
kannt. Die Yoga-Praxis der Indier bietet
ein grossartig ausgebildetes System des
Hypnotismus und ekstatischen Somnambu-
lismus, und die Europäer könnten hieraus
noch Manches für ihre so junge hypno-
tische Wissenschaft entnehmen. Magne-
tische Heilungen versuchten die Brahmanen
dadurch, dass sie mit ihren Abzeichen,
Ring und Stock, streichende Bewegungen
über den Kranken ausführten. Die neueren
egyptologischen Forschungen haben uns
Aufschlüsse über die von den egyptischen
Priesterärzten zur Heilung der Kranken
angewandten magnetischen Manipulationen
geboten. Man fand in den Tempeln viele
Täfelchen mit Aufzeichnungen von Heil-

berichten, auf denen stets eine rechte
Hand ausgestreckt abgebildet ist; darüber
sieht man das Bild der heilenden Gottheit
und darunter das des geheilten Kranken.

Das alte Egypten hatte überdies auch
Hypnotiseure von Beruf, die sogenannten
»Cheks«, die ihre Patienten gewöhnlich
auf zwei sich kreuzende Dreiecke, die auf
eine weisse Platte gezeichnet waren, oder
auf Glaskugeln, Krystalle und Prismen
starren liessen und so die Fixationshypnose
herbeizuführen suchten. Sehr häufig wurde
in Egypten auch der »Tempelschlaf« an-
gewandt. Derselbe verbreitete sich von dort
aus im übrigen Orient und wurde schliess-
lich auch bei den Griechen und Römern
eingeführt; überdies finden wir ihn noch
bei den Germanen und Galliern in Britan-
nien und Skandinavien. Carl du Prel
hat uns über denselben in einer seiner
Studien sehr eingehend berichtet. Die
Kranken, die den »Tempelschlaf« machen
wollten, wurden in besonderen Tempel-
räumen in hypnotischen Zustand versetzt,
und die Priester suchten dann in den von
ihnen intrahypnotisch gesprochenen Worten
oder in ihren Träumen Angaben, wie die
Heilung am besten vollzogen werden
könne. Bei Misserfolg wurde die Hypnose
wiederholt. Du Prel glaubt, dass that-
sächlich durch »die hellsehende Thätigkeit
des transcendentalen Subjects während der
Hypnose« die Kranken häufig die Art
ihres Leidens klarer erkannt und die
richtigen Mittel zur Heilung gefunden
haben. Er weist diesbezüglich auf die
zahlreichen Fälle von richtigen Selbst-
verordnungen somnambuler Personen, die
in neuerer Zeit verzeichnet wurden, hin.

Wie bei den andern Völkern des Orients,
war auch bei den Griechen der Hypno-
tismus und Magnetismus stets mit Magie
und mystischer Philosophie ver-
bunden. Meist sind es bedeutende mysti-
sche Philosophen, denen hervorragende
Heilkräfte nachgerühmt werden, z. B. wären

* In den letzten zehn Jahren ist zwar die Literatur über die Probleme des modernen
Hypnotismus fast unübersehbar geworden, aber die Geschichte desselben und seinen historischen
Zusammenhang mit dem Magnetismus hat man nur in wenigen Werken in Betracht gezogen.
Bei uns in Deutschland hat in letzterer Zeit als erster Hans Schmidkunz in seinem in-
structiven Werke über den Hypnotismus (Stuttgart 1892) einen Grundriss der Geschichte des
Hypnotismus geboten. Vor kurzem ist demselben das bedeutende Werk des bekannten Fach-
mannes Schröter »Geschichte des Magnetismus und Hypnotismus« gefolgt (Leipzig, Arwed
Strauch, 1899), in welchem das historische Material mit grossem Fleisse gesammelt und sach-
verständig bearbeitet wurde. Wir werden auf dasselbe zurückkommen.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 25, S. 600, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-25_n0600.html)