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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 26, S. 611

Text

ALTENBERG: ANGENEHME REISE-EINDRÜCKE.

Kuhglöckchen. Abends sah ich im Café
einen Gmundener mit seinem Hunde.
Der Hund blickte den Herrn mit unge-
heuerer Zärtlichkeit an. Es war schon
eine krankhafte, übertriebene Zärtlichkeit,
eine hysterische. Dennoch war es dem
Hunde schrecklich, es noch so wenig aus-
drücken zu können. Er legte daher die
Pfote auf das Knie des Herrn. Aber noch
immer sagte sein Blick, dass er noch viel,
viel mehr zu vergeben hätte, es einfach
nicht anbringen könne! Dieser Gmundener
Bürger muss schrecklich lächeln, wenn er
im Winter die Wiener Theater-Berichte
liest und so, die Attractionen der Metro-
pole, Ronacher, Nachmittags-Concerte,
Sarasate kommt, die Landi kommt, Kainz,
Kainz, Kainz. Und andere Sachen. Der
Hund liegt jetzt da, hingedrückt an den
Boden, schielt hin, hinauf; der Herr sitzt
friedevoll, raucht. Wunderbares Thier,
edelster Geber, Geber! Nichts nimmst du
dem weg, den du liebst, gibst ihm,
lässest ihn sich selber, seinem
Frieden
!

Auf eine Ansichtskarte »Blumencorso
in Gmunden« schrieb ich geärgert:
»Aber den Menschen genügt nicht die
Natur. Sie müssen Feste feiern!!« Dieses
schickte ich an ein ganz junges Mäd-
chen, um sie zu warnen. Aber die
Mama sagte: »Dieser Altenberg ist ein
komischer Mensch. Was möchte er denn
eigentlich!?« Eine Dame, welche immer
mit dem Rücken gegen den See saß, als
wenn sie auf ihn böse wäre, sagte: »Er
ist nur für reife Menschen. Denen kann
er wenigstens nicht schaden!«

»Nein,« sagte ein Mädchen, »er befreit
uns — — —.«

»Bitte, bitte, Stephanie, rede nicht in
alles mit, bitte, ja, bitte — — —!«

Die reifen Menschen, welchen man
nicht mehr schaden konnte, besprachen
dann verschiedene unaufschiebbare Dinge,
besonders das »Einem über den Kopf
wachsen« der Kinder, während die Töchter
schwimmen giengen und sich schreckliche
Anecdoten mittheilten. — — — — —

Ich kam nach Hallstatt.

Dieser Ort zwingt die Curgäste, sich
auf ihn zu stimmen. Sie organisieren sich,
werden Hallstätter, See-Anwohner, Primi-

tive! Gar nichts Gekünsteltes ist dabei
wie an anderen Orten. In Hallstatt könnte
man keine Gespräche führen über Ibsen,
die Tetralogie, könnte keine seidenen Unter-
röcke tragen oder englisch rudern. Stehend
rudern die Jünglinge und die alten Herren
und führen auf Plätten langsam die Mädchen,
welche auf Bänkchen hocken. Ruhig, lang-
sam, bedächtig rudert man die lieblichen
Bauerndirnen am Hotel vorüber, gleichsam
den Gästen mittheilend: »Siehe! So leben
wir — — —!« Hinter dem kleinen Garten
entschwinden die alten Boote lautlos.

Hier organisieren sich die Culti-
vierten zum Primitiven, während sie sonst
es sich aufpfropfen, sich blamieren. In
Hallstatt regnete, regnete, regnete es. Die
Wolken flössen zu einem Nebelmeere aus-
einander. Auf dem See lagen Duck-Enten
und beim Hotel Papiere und grüner
Schlamm und mehrere Bretter. Es war
Feiertag. Auf einer Plätte fuhr eine nasse
Bauernfamilie ganz bedächtig dahin. Eine
Dame sagte: »Die reden niemals mitein-
ander — — —!«

Gott, reden, reden!?

Lenau sprach nie über die Puszta.
Endlich aber sprach er sich darüber aus, in
einem Liede!

Aber wir sagen: »Die Puszta! Kennen
Sie die Puszta?! O, die Puszta!« Und dann
stockt es in uns vor lauter Herausbringen-
wollen. Der Bauer aber ist concentriert,
gibt sich nicht aus, macht keine faden
Versuche, kann sich nicht selbst auspumpen.
Er hat latente Concentrationen. Hie und da
explodiert es, gegen seinen Willen, in einem
Juchezer, einem Mordsrausche. Sehr viel
Ähnlichkeiten hat er mit dem Genie. Er
glotzt, glotzt, glotzt, lässt sich brachliegen.
Plötzlich blitzt es, schlägt ein vor über-
schüssigen aufgehäuften Spannkräften.

Aber ihr, Verzetteler!?!

Goisern.

Abends promenierte ich auf der Land-
strasse. Rechts und links weite umzäunte
Wiesen und Villen mit Holz-Veranden.
Auf den Veranden waren Menschen mit
der Sommer-Patina auf dem Antlitz, in
lichten Gewändern, um Tische herum, auf
welchen weiße Petroleumlampen brannten.
Ein junges Mädchen saß abseits, dehnte

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 26, S. 611, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-26_n0611.html)