Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 26, S. 618

Hypnotismus und Magnetismus II. Ernst Häckels »Welträthsel« (Thomassin, Carl vonSchlaf, Johannes)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 26, S. 618

Text

SCHLAF: ERNST HÄCKELS »WELTRÄTHSEL«.

Organismus als eine Maschine, die durch
den Nervenäther in Thätigkeit gesetzt
werde. Letzterer wird nach seiner Ansicht
im Gehirne gebildet und mittelst der Nerven-
stränge durch den Körper weiter geleitet. In
der Erhaltung der richtigen Strömung
des Nervenäthers liegt, so meint er,
die Bedingung für die Erhaltung des
Lebens. Aus den Bewegungen können
wir diesbezüglich Schlüsse ziehen. Wenn
dieselben allzu heftig werden, wie bei
Krampfzuständen, oder zu gering, wie bei
Atonie (Schwäche), so ist die richtige
Strömung des Nervenäthers gestört und
der Mensch krank. Ähnliche Ansichten
vertraten auch die Ärzte Camerarius
(1665—1721) und Hermann Boerhave
(1668—1738).

Grosses Aufsehen erregten um die
Mitte des XVII. Jahrhunderts die Heil-
erfolge des irländischen Edelmannes Va-
lentin Greatrakes (1623—1666).

Dieselben wurden von vielen glaub-
würdigen Zeugen, selbst solchen, die prin-
cipiell gegen den Magnetismus eingenom-
men waren, bestätigt. Sogar der Präsident
der königlichen Gesellschaft in London,
Robert Boyle, vertheidigte sie und nahm
Greatrakes gegen die Anklage der Zauberei
in Schutz. Diese merkwürdigen Heilungen
boten auch Veranlassung zu den bekannten
Werken von Josef Glanvil »Sadducismus
triumphatus« und Richard Baxter »The
certainty of the World of Spirits«. Im
XVIII. Jahrhundert finden wir, um Schröters
Worte zu gebrauchen, »Berufene und Un-
berufene, Ehrliche und Schwindler, gläu-
bige Christen, Fanatiker, Ärzte und
alte Weiber, Mystiker und Atheisten,
Naturforscher und Skeptiker sich um die
Wirkungen und Ursachen des Magnetis-
mus streiten, und ein Cagliostro fand seine
Vorgänger in einer Vollkommenheit, die
er sich nur denken konnte.«*

* Zu vielen Controversen haben im XVIII. Jahrhundert auch die Heilungen des Pfarrers
Gassner (1729—1779) durch Handauflegung. Gebet und die Überredung zum festen Glauben
Anlass gegeben. Besonders heftig wurde Gassner durch Semler und den Benedictiner Sterzinger
angegriffen; namentlich auch von letzterem wegen seines Glaubens, dass die Krankheiten von
bösen Geistern verursacht würden. Ähnlich wie Gassner heilte später auch Prinz Alexander
von Hohenlohe (1794—1849). Schröter ist der Ansicht, dass diese Heilungen auf magnetische
und suggestive Beeinflussung zurückgeführt werden können. Da die »übernatürliche« Erklärung
auch, wie angedeutet, von theologischer Seite nicht gebilligt wurde, dürfte die psychologische
jedenfalls Beachtung verdienen.

Dem Gebiete des Suggestionismus dürfte in gewisser Hinsicht auch die neue Methode
des »Mental« oder »Psychic Healing«, die zuerst von Mrs. Eddy in Boston angewandt wurde,
einzugliedern sein. Sie besteht darin, dass die Kranken zum festen Vertrauen auf ihre Heilung
überredet werden.

Artikel III über Mesmerismus und über die Entwicklung des Hypnotismus bis zur Gegenwart
folgt in der nächsten Nummer.

D. RED.

ERNST HÄCKELS »WELTRÄTHSEL«.
Von JOHANNES SCHLAF (Magdeburg).

Soeben ist im Verlag von Emil
Strauß
in Bonn ein neues Buch Ernst
Häckels
erschienen, »Die Welträthsel«
betitelt. Es führt den Untertitel ›Gemein-
verständliche Studien über monistische
Philosophie«.

Ich glaube, man darf Ernst Häckel,
abgesehen von seinen hervorragenden

Verdiensten um die Förderung und weitere
Fundamentierung der Darwinschen Ent-
wicklungstheorie, den Ruhm zuerkennen,
als der erste bei uns in Deutschland den
Begriff einer monistischen Philosophie auf-
gestellt und die letzten Reste einer duali-
stischen Weltauffassung, als welche sich
selbst der Kraft- und Stoff-Materialismus

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 26, S. 618, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-26_n0618.html)