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Functionen, als das Individuum selbst.
Dies aber ist identisch mit der Substanz,
und also auch der Geist mit dieser eins
und das gleiche, womit natürlich das
Trinitäts-Dogma des Christenthums nicht
restituiert werden, sondern nur dargethan
sein soll, wie es einen guten und dauer-
haften Sinn besitzt, den die moderne Wissen-
schaft zwar anders zum Ausdruck bringt,
aber nicht aufhebt. Und so hat so
manche »philosophische« und speculative
Consequenz, die Häckel aus den modernen
exacten Wissenschaften zieht, ihr Aber.
Kein Satz kann tiefer sein, als etwa
der, den Häckel aus einem seiner früheren
Aufsätze: »Zellseelen und Seelenzellen«
(1878) seinem 7. Capitel: »Stufenleiter
der Seele« zum Motto gibt. »Die wunder-
vollste aller Natur-Erscheinungen, die wir
herkömmlich mit dem einen Wort »Geist«
oder »Seele« bezeichnen, ist eine ganz all-
gemeine Eigenschaft des Lebendigen. In
aller lebendigen Materie, in allem Proto-
plasma müssen wir die ersten Elemente
des Seelenlebens annehmen, die einfache
Empfindungsform der Lust und Unlust,
die einfache Bewegungsform der An-
ziehung und Abstoßung. Nur sind
die Stufen der Ausbildung und Zusammen-
setzung dieser »Seele« in den verschie-
denen lebendigen Geschöpfen verschieden;
sie führen uns von der stillen Zellseele
durch eine lange Reihe aufsteigender
Zwischenstufen allmählich bis zur bewussten
und vernünftigen Menschenseele hinauf.«
Und es ist wieder einzig und unver-
gleichlich, wie Häckel etwa in diesem
7. Capitel die Entwicklungsscala der orga-
nischen Seele aufbaut, von der Urzelle
bis zum Menschen. Es ist wie der Blick
einer letzten Erfüllung; so recht wie der
letzte Blick jenes »heiligen Geistes« und
»Parakleten«, den Christus verhieß, und
der die Menschheit am Ende der Dinge
»in alle Wahrheit leiten« sollte. Und welche
Tiefe besitzen Begriffe, wie »Cellular-
Gedächtnis«, »Histonal-Gedächtnis«, ein
Begriff wie Zellseele, Gewebeseele u. a.
Und trotzdem scheint sich die That-
sache und Erscheinung des Bewusstseins
als die Schranke zu erheben, als das
»psychologische Central-Mysterium« —
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wie es Häckel gelegentlich selber bezeich-
nete —, an dem alle exacte Wissenschaft
scheitert!
Es werden, welche Fortschritte die
Wissenschaften auch immer machen
werden, stets sich Probleme erheben, die
aller Empirie und allem Experiment wider-
streiten und denen sich nur subjectiv bei-
kommen lässt. Das Problem des Bewusst-
seins gehört hieher; und es ist wohl das-
jenige, das sich nie anders als subjectiv
wird lösen lassen.
Hier erhebt sich zugleich das Problem
der Individualität. Häckels Monismus, der
aber eben noch beiweitem kein philo-
sophischer, sondern zunächst erst noch
ein exact-wissenschaftlicher und mechani-
scher ist, weiß mit dem Individuum nichts
Rechtes anzufangen. Dieses ist bei ihm
ein verschwindendes Nichts gegen die
Unermesslichkeit der Allwelt; die Würde,
die ihm die neuere Philosophie von Kant
über Fichte bis zu Stirner und Nietzsche
zuzuerkennen sich genöthigt fand, bleibt
bei dem Biologen Häckel ohne Beachtung,
oder vielmehr, er weiß, befangen in der
mechanischen Auffassung der Dinge, nichts
mit ihm anzufangen, es geht über seine
Functionen hinaus.
Häckel schließt etwa sein Werk mit
dem Goethe’schen Citat:
»Nach ewigen, ehernen
Grossen Gesetzen
Müssen wir alle
Unseres Daseins
Kreise vollenden.«
Aber diese Gesetze sind im letzten
Grunde wir selbst; sie sind im letzten
Grunde das Individuum, die ewige, wie
auch immer zwischen Bewusst und Un-
bewusst schwankende Individualität. Sie ist
die letzte Tiefe und unantastbare Mystik.
Sie als Welt erkennen, als Sinn, Ordnung
und Gesetz, immanentes Bewusstsein des
Chaos und letzte Einheit, ist wahrer
Monismus. Hier versagt Häckels Ver-
mögen, und so ist sein Monismns ein
mechanischer, aber kein lebendiger und
umfassender, wie wir ihn etwa in großen
dithyrambischen Zügen in den »Gras-
halmen« des Walt Whitman entwickelt
sehen, in dem tiefsten und einzigartigsten
poetisch-philosophischen Werke des Jahr-
hunderts. (Cf. meine Essais-Sammlung
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