|
klingt, erwies sich ihm als Hindernis;
desgleichen sein Charakter. Journalisten
gegenüber affectierte er gern eine Art
falscher, verächtlicher Unterwürfigkeit,
die von den intelligenten Leuten mehr
noch gefürchtet wurde, als jene Selbst-
überhebung, deren sie ihn gleichfalls
fähig wussten. Die Dummköpfe ließen
sich dadurch gefangen nehmen — und
wenn man vor Dummköpfen sich herab-
würdigt, ist man verloren. Lange Zeit
paradierte Villiers de l’Isle-Adam auf den
Boulevards als »Original«, als excentrischer
Amateur, als eine Art Herzog von Braun-
schweig, arm und stets bedacht, in die
Literatur jene Bizarrerien und Imagina-
tionen einzuführen, wie sie der Braun-
schweiger in dem falschen großen Luxus
seiner Equipagen und Equipierten zur
Schau trug. So beurtheilte ihn auch
einen Tag nach seinem Tode — im übrigen
recht gewissenlos — ein Journalist Henry
Fouquier. Seit dieser Zeit, die mir stets
schmerzlich bleibt, seit zehn Jahren also,
hat sich der Name Villiers ein bischen
verbreitet und befestigt, doch lange nicht
in dem Maße, wie man erwarten und
wünschen müsste.
Rangiert ihn nun die Publication des
Verlegers Edm. Deman unter die
curiosen oder unter die bleibenden
Schriftsteller? Wird man unter den
Schriften Hellos oder Chateaubriands eine
gleiche Auswahl treffen? Hello, dieses
fleischgewordene Paradoxon, dieser Schrift-
steller, der vom Erhabenen ins Mittel-
mäßige hinabsteigt und durch gesuchte
Klarheit undeutlich wird, Hello ist um
vieles beliebter als Villiers. Man druckt
zum zweitenmale die gesammelten Werke
des Verfassers von „L’Homme“; und jetzt
erst denkt man daran, die Werke des
Verfassers von „L’Eve Future“ zu sammeln.
Als Auswahl aus allen Erzählungen
Villiers’ liegen nun die „Histoires Sou-
veraines“ vor. Aber diese Auswahl geht
nicht allein auf den Geschmack des Ver-
legers Deman zurück; vor mehreren
Jahren schickte er, heißt es, Circulare an
eine recht große Zahl junger Literaten
mit der Bitte, unter den Erzählungen
Villiers für einen Sammelband Auslese
zu halten. Die „Histoires Souveraines“
sind das Resultat dieses kleinen literarischen
|
Plebiscits. Herr Deman hat in seinem
Bande zweifellos jene Erzählungen vor-
angestellt, denen die meisten Stimmen
zugefallen sind; es ist demnach interessant,
eine Liste der Überschriften in der be-
beschlossenen Reihenfolge aufzustellen.
Hier ist sie:
Véra, Vox Populi, Duke of Portland,
Impatience de la Foule, L’Intersigne,
Souvenirs Occultes, Akëdysséril, L’Amour
Suprême, Le Droit du Passé, Le Tzar et
les Grands Ducs, L’Aventure de Tsë-i-la,
Le Tueur de Cygnes, La Céleste Aventure,
Le Jeu des Graces, La Maison du Bonheur,
Les Amants de Tolède, La Torture par
l’Espérance, L’Amour Sublime, Le Meilleur
Amour, Les Filles de Milton.
Die Auswahl ist, wie man sieht, nicht
schlecht. Man kann — und vieles —
nach Geschmack hinzufügen; aber man
wird schwerlich etwas wegnehmen können.
Die Anordnung der Reihenfolge, die hier
nach der größeren oder geringeren Treff-
lichkeit des Aufgenommenen erfolgt ist,
ließe sich leichter kritisieren als modi-
ficieren. Ich hätte vielleicht „L’Intersigne“
an die Spitze gestellt, ein Kunstwerk, das
einige der schönsten Sätze französischer
Prosa enthält. Aber welche Erzählung
von Villiers — unter denen, deren Titel
man hier gelesen, und auch unter den
anderen, fast unter allen anderen —
enthält nicht bewunderungswürdige Sätze
und Wendungen von seltener Reinheit,
Gedrungenheit und musikalischer Schön-
heit? Am wenigsten gut geschrieben ist
die als letzte aufgezählte: „Les Filles de
Milton“ betitelt; sie steht am Ende der
Liste, ist aber auch die letztentstandene.
Villiers hinterließ uns dieses Werk als Frag-
ment in einem solch unfertigen Zustande,
dass ich langer Mühe und Arbeit bedurfte,
bevor es mir endlich gelang — durch
Anhaltspunkte unterstützt — die zer-
streuten und nicht numerierten Blätter zu
ordnen und zu verbinden; in dieser rapid
niedergeschriebenen Geschichte erzählt uns
der große Poet die bitteren, tief schmerz-
lichen Stunden eines anderen großen
Dichters. Ich habe genug Gründe, die
„Filles de Milton“ zu lieben. Bevor mich
die mühselige Sorge um ihre Veröffent-
lichung drückte, half ich insofern an der
Ausarbeitung der Erzählung mit, als ich
|