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vidueller Störungen allgemein und noth-
wendig hervortreten (verità del intelletto).
4. Das metaphysisch Wahre, Iden-
tität von Sein und Wissen. Mit letzterem
mündet freilich die Philosophie des Nolaners
in die Mystik. In seinen Furori Eroici
sagt er selbst: »Diese Wahrheit wird ge-
sucht wie ein unzugängliches Etwas, wie
ein unanschauliches und nicht bloß unbe-
greifliches Object.«
In poetischem Anschlusse an eines
seiner herrlichsten Sonette aber fügt er
hinzu: »Sehr selten sind jene Aktäons,
denen es vom Schicksal gegeben ist, die
Diana nackt zu schauen, und die dann,
entzückt von der schönen Körperform der
Natur und verklärt durch den doppelten
Strahlenglanz der göttlichen Schönheit und
Güte, in einen Hirsch verwandelt und so-
mit nur Jägern zum Jagdwild werden.
Denn das letzte Endziel dieser Jagd
(aller Wissensforschung) ist eben, jene
flüchtige und scheue Beute zu erreichen,
durch die der Erbeuter selber zur Beute,
der Jäger zum Jagdthier wird; denn bei
allen anderen Arten von Jagd, die auf
einzelne Dinge angestellt werden, sucht
der Jäger andere Dinge für sich zu er-
beuten, um sie mit dem Munde seiner eigenen
Intelligenz zu verzehren; aber bei jener gött-
lichen und universellen Jagd ergreift und er-
fasst er die Beute in dem Grade, dass er
nothwendigerweise auch sich selber
erfasst, verzehrt und mit ihr
ge-
eint
wird. Dann wird er aus einem
gewöhnlichen, bürgerlichen und volksthüm-
lichen Menschen ein ungeselliger; als
Hirsch und Bewohner der Wildnis lebt
er jetzt obdachlos unter dem hohen Laub-
dach des Waldes, in den kunstlosen Ge-
mächern der Bergesklüfte, wo er die
mächtigen Ströme bewundert, wo er un-
berührt und rein von gewöhnlichen Be-
gierden sein Dasein verbringt, wo die
Gottheit viel freier verkehrt, wo so viele
Menschen, die auf Erden gern schon einen
Tropfen himmlischen Daseins gekostet
haben, einstimmig mit ihm rufen würden:
Ecce elingavifugiens et mansi in solitudine. —
So zerreißen die Gedankenhunde der gött-
lichen Dinge diesen Aktäon, indem sie ihn
zwar in den Augen der Menge tödten, in
Wahrheit aber aus den Fesseln der ver-
wirrten Sinne erlösen, freimachen aus
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dem Fleischkerker der Materie, so dass
er seine Diana nicht mehr gleichsam durch
Ritzen und Fenster, sondern nach Be-
seitigung der trennenden Wand unmittelbar
beschauen kann, ganz Auge geworden, um
den ganzen Umkreis zugleich zu übersehen.
So schaut er ganz als Einer und sieht
nicht mehr durch Distinctionen und Zahlen,
die nach Verschiedenheit der Sinne wie
durch verschiedene Ritzen alles nur theil-
weise und verwirrt sehen lassen. Er schaut
die Amphitrite, den Urquell aller Zahlen,
aller Arten, aller Begriffe, welche die
Monade, die wahre Wesenheit des Seins
aller Dinge ist, und wenn er sie nicht in ihrer
Wesenheit, im absoluten Lichte sieht, so
sieht er doch in seiner Entstehung selbst
das Bild, das ihr ähnlich ist. Denn von
der Monade, welche die Gottheit ist, geht
die Monade aus, welche die Natur, das
Universum, die Welt ist, worin, wie im
Monde die Sonne, jene sich betrachtet und
spiegelt, durch welche sie uns erleuchtet,
da sie in der Hemisphäre der intellectuellen
Substanzen sich befindet.
Dies ist die Diana, jenes Eine, welches
das Seiende selber ist, jenes Seiende,
welches die begreifbare Natur ist, auf die
die Sonne und der Glanz der höheren
Natur einwirkt, als Einheit, die sich scheidet
in erzeugte und zeugende oder schaffende
und geschaffene.«
Wenden wir uns nach diesem poetisch-
mystischen Excurse aus seinen Furori
Eroici zunächst wieder zur dritten Er-
kenntnisform, zur Wissenschaft, und zwar
zur Natur-Philosophie des Nolaners, so
geht er bei ihrer Entwicklung mit den
Neu-Platonikern aus von den Begriffen
Materie und Form (Stoff und Kraft).
Ihm ist die Materie nicht ein rein passives
Etwas, sondern jeder Stoff, sei es auch
das träge, bildsame Wachs, trägt eine
Form in sich, ist voller Activität, ist for-
mende Kraft. Die All-Materie ist die Welt-
seele selber und alles Materielle ist beseelt;
sie ist nicht ein Stoff, aus dem die Einzel-
dinge »gemacht« werden, sondern die
lebendige Mutter aller Dinge, die alle
Formen in ihrem Schoße trägt; aus ihr
entwickeln sich die Gestalten des
Lebens. Jegliches Leben ist nichts als
stetige Involution und Evolution, Ver-
dichtung oder Verdünnung der Materie.
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