Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 4, S. 92

Zeitgenössische englische Malerei (Drews, Arthur, Prof.)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 4, S. 92

Text

ZEITGENÖSSISCHE ENGLISCHE MALEREI.
Von ARTHUR DREWS (Karlsruhe).

Sizerannes Werk über die zeitge-
nössische englische Malerei enthält weniger
und mehr als der Titel angibt.* Es ent-
hält weniger, sofern es nicht die ganze
zeitgenössische Malerei, sondern nur deren
Hauptvertreter und allgemeinste Richtungen
mit völligem Ausschluss der Landschafts-
malerei behandelt. Und zwar gibt es zu-
nächst eine Darstellung des Urspnings
des Präraphaelismus, um hieran alsdann
eine ausführliche Charakteristik der sieben
hervorragendsten jetzigen Meister, nämlich
Watts, Holman Hunts, Leightons,
Alma Tademas, Millais’, Herkomers
und Burne-Jones’ anzuschließen. Den
Ausschluss der Landschaftsmalerei be-
gründet der Verfasser damit, dass es keine
specifisch englische, sondern nur noch
eine allgemeine moderne Landschaftsmalerei
gibt. Auch bietet er keine eigentliche
Geschichte der englischen Malerei,
sondern mehr eine allgemeine Untersuchung
ihrer Ziele und ihres Wesens, deren Zweck
vor allem ist, denjenigen Kunstliebhabern
ein Führer zu sein, die an Ort und Stelle
jene moderne Malerei studieren wollen.
Das Buch enthält aber auch zugleich
mehr als der Titel angibt, indem die
Darstellung der charakteristischen Merkmale
der englischen Malerei, ihrer Composition
und Zeichnung, ihrer Farbe und Mache, so-
wie ihrer Intentionen, sich dem Verfasser zu
einer allgemeinen ästhetischen Betrachtung
ausweitet, die so reich an feinen und
treffenden Bemerkungen ist, dass ich sie

vor allem unseren Künstlern besonders
empfehlen möchte.

Die englische Malerei, und zumal der
Präraphaelismus eines Madox Brown,
Rossetti, Hunt und Millais, ist ja auf
dem Festlande im ganzen noch immer
so wenig bekannt, dass man es dem
Verfasser Dank wissen muss, sie durch
seine Darstellung den Zeitgenossen näher
gebracht zu haben. Dabei steht er ihr
im Grunde keineswegs besonders sym-
pathisch gegenüber. Was ihn zu seinem
Gegenstande hingezogen hat, ist zunächst
die Thatsache, dass es überhaupt eine
originale englische Malerei gibt, eine
Malerei, die nicht von Frankreich aus-
gegangen, sondern auf heimischem Boden
erwachsen ist und ihren englischen Ur-
sprung nirgends verleugnet. Wir Deutsche
mögen es immerhin mit sehr gemischten
Empfindungen lesen, wenn der französische
Verfasser behauptet, dass es eine solche
originale Malerei gegenwärtig überhaupt
nur in England gibt. »Solange man,«
sagt er, »auf internationalen Kunst-
ausstellungen die Säle durchwandert, die
Deutschland, Österreich, Italien, Spanien,
Holland, sogar den Vereinigten Staaten
oder den skandinavischen Ländern ge-
widmet sind, glaubt man sich immer nach
Frankreich versetzt. Betritt man dagegen
die Säle der Engländer, so fühlt man
sofort, dass man nicht mehr bei Lands-
leuten ist, und man kann sogar zweifeln,
ob man sich noch unter Zeitgenossen

* Robert de la Sizeranne: Die zeitgenössische englische Malerei. Aus dem Franzö-
sischen übersetzt von Else Fürst, München. Verlagsanstalt F. Bruckmann. 1899. 255 S. — Aus
dem Inhalt seien folgende Capitel hervorgehoben: Die englische Kunst im Jahre 1844. — Die
präraphaelitische Schlacht. — Die Definition und die Resultate des Präraphaelismus. — Die
mystische Kunst (Watts). — Die christliche Kunst (Hunt). — Die akademische Kunst (Leighton).
— Die Geschichte (Alma Tadema). — Das Genre (Millais). — Das Porträt (Herkomer). —
Die Sage (Burne-Jones). — Die Composition und die Zeichnung. — Die Farbe und die Mache.
— Die Intentionen.——Beigegeben ist ein Schlusswort über Madox Brown, dem Sizeranne
(im Gegensatze zu der bisherigen Forschung und namentlich zu dem Standpunkte Holman
Hunts) einen sehr hervorragenden Platz in der präraphaelitischen Bewegung anweist. — —
Das Werk ist mit zahlreichen Bildern nach Alma Tadema, Brown, Burne-Jones, Herkomer,
Hunt, Leighton, Mantegna, Millais, Orcagna, Orchardson, Raffael, Rossetti, Strudwick, Tissot,
Walker, Waterhouse und Watts geschmückt.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 4, S. 92, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-04_n0092.html)