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Verhältnisse, wie ihn die mechanistisch-
materialistische Hypothese der Darwinisten
zur Erklärung der Stufenfolge organischer
Entwicklung benützt. Der Verfasser hat
jedoch den schwachen Punkt dieser materia-
listischen Hypothese mit richtiger Einsicht
erfasst. Es erklärt diese Hypothese näm-
lich, wie auch Ed. v. Hartmann in seiner
zermalmenden Kritik dieser materialisti-
schen Metaphysik nachweist, das Aussterben
lebensunfähiger Formen, doch in keiner
Weise das Aufsteigen zu höheren Formen.
Es tritt für die einfach organische ebenso
wie für die gesellschaftliche Entwicklung
die Frage an uns heran: Was nöthigt das
organische Leben, von den primitiven,
einfachen Formen zu zusammengesetzten,
reichen Formen des Lebens aufzusteigen?
Denn an und für sich erhalten sich im
Kampfe ums Dasein die einfachen, die
primitiven Formen mit ungleich mehr Er-
folg, als die complicierten, höheren, so-
wie es denn leichter ist, eine einfache
Maschinerie im richtigen Gange zu erhalten,
als ein compliciertes Uhrwerk. Auch kann
sich das Einfache viel leichter anpassen
an den Wechsel von Verhältnissen, als
das an verwickelte Bedingungen der Existenz
Gebundene. Es sind aus diesen ein-
fachen Gründen die obigen, rein mecha-
nischen Erklärungsprincipien zur Erklärung
des Hervorgehens der Stufenfolge immer
complicierterer höherer Formen des Lebens
schlechthin ungenügend. Der Verfasser
versucht diese Lücke durch ein anderes
Erklärungsprincip zu füllen, und dies ist
die stetig abnehmende Intensität der
organischen Lebenskräfte.
Bei dieser geistvollen Wendung hat
der Verfasser übrigens einen Vorgänger,
von dem er aber keine Kenntnis hat, und da er
in völlig origineller Weise, mit ungleich um-
fassenderer Gelehrsamkeit und in viel
reicherer Einzel-Ausführung an sein Werk
schreitet, müssen wir trotz der Verdienste
dieses Vorgängers in Adolf Fischers Werk
doch die erste wissenschaftlich durch-
geführte Form dieses Gedankens be-
grüßen. Dieser Vorgänger, dessen wir schon
vom Standpunkte literarischer Redlichkeit
aus Erwähnung thun müssen, ist ein unga-
rischer Schriftsteller, Géza Jész, der in
seinem noch im Jahre 1893 erschienenen
Werke A fejlödés törvényei (Budapest,
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Athenäum) die fortschreitende Entwick-
lung des sich abkühlenden Planeten und
der auf demselben hervorgehenden orga-
nischen und socialen Welt aus der
fortschreitenden Abkühlung und Kraft-
abnahme zu erklären sucht und auch schon
in ähnlicher Weise wie Fischer den
Fortschritt von der zusammenhangslosen
Weise, die für den gasförmigen Zu-
stand bezeichnend ist, und die ersten
Stufen socialen Lebens, ferner die innige
Gemeinschaft feuerflüssigen Zustandes, die
in der innigen Lebensgemeinschaft der
Stammesverfassung und der antiken Welt
sich verwirklicht, zur allmählich in starrer
Individualisierung sich abtrennenden, nur
äußerlich lose zusammenhängenden Ver-
fassung der späteren, immer mehr indi-
vidualistischen Form der Gesellschaft
übergeht und hiemit über Fischer hinaus
sogar das unorganische Leben in den
Kreis seiner Erklärung zu ziehen sucht.
Wir können die reiche und gründliche
Darstellung des Fischer’schen Werkes hier
nur sehr flüchtig skizzieren. Der Verfasser
lässt eine Reihe organisch-intellectueller
Kräfte sich ablösen. Mit der Abschwächung
des Instinctes wird ein neuer Factor
zur Erhaltung der Individuen nöthig, die
Empfindung, die in der Stammesgesell-
schaft den abgetrennt lebensunfähigen
Individuen die Existenz im innigen Zu-
sammenhalt der Stammesverfassung sichert.
Aber auch die Kraft der Empfindung
schwindet, und es muss die mangelnde
Intensität durch die umfassenderen reicheren
Kreise gesellschaftlicher Organisation er-
setzt werden. Es erfolgt der Übergang
zur Dorfgemeinschaft, zur Marktgenossen-
schaft, zur Stadtgemeinde, endlich zur
Staatenbildung. Die höchste Blüte, die
reichste und umfassendste Gestaltung
erreicht das Zeitalter der herrschenden
Empfindung in der christlichen Kirche,
welche die Organisation der in der ver-
wandten Empfindung Verwobenen zur inter-
nationalen Einheit des mittelalterlichen
Katholicismus erhebt. Im Protestantismus
erscheint schon am Gebiete der Religion
das Princip der Verinnerlichung und des
Individualismus, und beginnt von da an der
Verfall der religiösen Empfindung, die
schließlich in der Gestalt der Kirche nicht
mehr Träger der gesellschaftlichen Organi-
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